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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Corry
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du sofort in Deckung gehen.«
    Wie oft hatte ihre Mutter ihr das gesagt? »Warum?«, hatte Helen gefragt. »Weil das eine heimtückische Bombe ist, die uns alle in die Luft jagen kann«, hatte die Antwort gelautet.
    Helen hatte diese Information sehr ernst genommen: Wenn Mummy weg war, war dann nicht sie die Älteste im Haus? Edna zählte nicht, schließlich war sie eine Art Hausmädchen, wie Mummy immer sagte. Aber nun, nachdem Helen das Knattern gehört hatte und es plötzlich verstummt war, fragte sie sich, ob sie es sich eingebildet hatte oder ob es einfach der Wind gewesen war, der an diesem Morgen ungewöhnlich scharf blies.
    Trotzdem, besser, sie ließ es nicht darauf ankommen.
    »Schnell!« Sie stieß Frank in die Hecke. »In Deckung.«
    »Warum?«
    Helen schaute zum Himmel hoch. Sie konnte nichts sehen, allerdings war es auch stark bewölkt. »Geht in Deckung«, hatte ihre Mutter gesagt. Eine Hecke würde nicht viel Schutz bieten. Die Brücke dort drüben wäre besser. Es handelte sich um eine, wie die Erwachsenen es nannten, »stillgelegte Brücke«, obwohl, was für einen Sinn hatte eine Brücke, die keiner mehr benutzte? Geht nicht dorthin, hatte man ihnen gesagt, sie könnte einstürzen. Aber wenn man im Angesicht einer vermeintlichen Flugbombe die Wahl hatte zwischen einer Hecke und einer Brücke, sollte man doch sicher Letzteres wählen. Oder nicht? Lieber Himmel, das war schlimmer als eine Algebraaufgabe!
    »Geh einfach in Deckung!« Sie schubste Frank eilig vor sich her über den Weg und hinunter in die Unterführung, wo sie ihn auf den Boden zerrte.
    »Ist das ein Spiel?« Frank grinste. »Heißt das, wir müssen heute nicht in die Schule?«
    Helen nahm seine kleine Hand in ihre. Sie begann zu zittern wie damals auf Borneo, als Mummy gesagt hatte, dass sie fortgehen müssten und ihren zahmen Orang-Utan leider nicht mitnehmen könnten. »Keine Ahnung. Warte einfach ab. Und sei still, nur für den Fall.«
    Für welchen Fall, wollte Frank wissen. Helen wusste es selbst nicht genau, obwohl es möglich war, dass die Deutschen bereits gelandet waren, wie das Radio gewarnt hatte. Aber das wollte sie Frank nicht sagen, um ihm keine Angst zu machen.
    »Für welchen Fall?«, wiederholte Frank. »Sag schon …«
    Und dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall. Die Tunnelwände schienen zu schwanken, und überall war dichter Staub, sodass sie husten mussten und fast keine Luft bekamen. Helen umklammerte Franks Hand fester. Erst später, als sie die Blutergüsse sah, wurde ihr bewusst, wie fest. Ein Ziegelstein fiel auf ihre Schulter, und sie spürte einen dumpfen Schmerz, während sie gleichzeitig Frank schreien hörte, aber nicht vor Schmerz. Vielmehr war es ein Angstschrei, wie sie im Laufe der Jahre zu unterscheiden gelernt hatte, und zwar besser als die Kinderfrau und definitiv besser als Edna.
    Plötzlich wurde es still. Genauso plötzlich, wie es begonnen hatte. Helen blickte sich um. Um sie herum türmten sich Trümmerhaufen, und über ihren Köpfen, wo noch vor wenigen Minuten ein Dach gewesen war, klaffte ein Loch, durch das die Sonne schien. Der Zugang zur Unterführung war fast bis obenhin durch Schutt versperrt, aber das spielte keine Rolle. Sie konnten darüber klettern, um hinauszugelangen. Wichtig war, dass Frank nichts passiert war, abgesehen von einer kleinen Schramme auf der Wange.
    »Was ist passiert?« Seine leise Stimme klang kratzig und ängstlich.
    »Es ist alles okay, Frankie.« Das war ihr Kosename für ihn. »Das war nur eine Flügelbombe.«
    Seine großen braunen Augen wurden noch größer. »Ist das eins von deinen Spielen?«
    Helen nickte. »Kann man so sagen. Und jetzt komm. Kletter auf meinen Rücken, damit wir zur Schule kommen.«
    Die Dorfschule gewöhnte sich gerade erst an die Macintyre-Kinder, und die Macintyre-Kinder gewöhnten sich gerade erst an die Dorfschule. Noch nie zuvor hatten sie hier Kinder, die aus dem Fernen Osten kamen, wie die Lehrerin der Klasse erklärt hatte. Und nie zuvor hatte Helen oder Frank einem Raum voller neugieriger Augen gegenübergestanden. Nach ihrer Ankunft in England hatte Helen zunächst eine Klosterschule besucht, wo es ihr recht gut gefiel, weil die Nonnen ihr viel Aufmerksamkeit schenkten und vergnügt ihren Geschichten über Yolky, den Orang-Utan, lauschten. Aber dann, eines Tages, als Mummy schrecklich schnell fuhr und Helen ihren Rosenkranz hervorholte, um das Ave Maria zu beten, damit sie keinen Unfall bauten, war Mummy ziemlich böse

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