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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Corry
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geworden und hatte gesagt, dass Helen nicht länger auf eine katholische Schule gehen dürfe, wenn so etwas dabei herauskam. Und so waren sie und Frank stattdessen in der Dorfschule gelandet.
    Als die anderen Kinder und der Lehrer nun sahen, dass sie mit schwarzen Gesichtern und zerrissenen Kleidern ankamen, hielten sie das wahrscheinlich für normal bei Kindern aus dem Fernen Osten, dachte Helen. Nun, denen würde sie es zeigen!
    »Wir mussten uns vor einer Flügelbombe in Sicherheit bringen«, verkündete sie, als sie das Klassenzimmer betraten.
    Niemand sagte etwas. Stattdessen starrten alle sie an, als hätten sie Mitleid mit ihnen. Erst später erfuhr Helen, dass die Nachricht sich schon verbreitet hatte.
    »Gut gemacht, ihr Lieben«, sagte die Lehrerin, als wäre es etwas Alltägliches, den Deutschen zu entkommen. Sie legte den Arm um Franks Schulter. »Ihr beide kommt bitte mit. Die Direktorin will euch sprechen.«
    Es kann nicht sein, dass wir Ärger bekommen, dachte Helen, während sie durch den Flur beinahe rennen mussten, weil die Lehrerin so schnell ging. Ich weiß, man hat uns verboten, unter die Brücke zu gehen, aber das war die einzige Möglichkeit. Das werde ich der Direktorin sagen, und wenn sie es nicht versteht, wird Mummy es ihr erklären, wenn sie zurück ist.
    »Ah, Helen. Frank.«
    Die Direktorin saß an ihrem Schreibtisch. Sie zog leicht die Augenbrauen in die Höhe, als sie ihre Aufmachung sah, stellte aber keine Fragen. »Ich fürchte, ich habe eine schlechte Nachricht für euch. Es geht um eure Mutter.«
    Edna hatte es offenbar erfahren, kurz nachdem sie zur Schule aufgebrochen waren. Sie würde sie nachher hier abholen, aber zuerst müsse sie ein paar Leute verständigen, wie zum Beispiel Tante Phoebe.
    »Hat die Bombe Mummy erwischt?«, fragte Frank immer wieder.
    »Nein.« Helen spürte, dass die Worte aus ihrem Mund kamen, als würden sie jemand anderem gehören. »Sie hatte etwas in ihrem Kopf, woran sie gestorben ist. Etwas, das niemand aufhalten konnte.«
    Sie plapperte die Worte nach, die die Direktorin gesagt hatte. Wieder und wieder. Sie spendeten ihr Trost, ähnlich wie das Ave Maria. Wenn sie sie oft genug wiederholte, würde Gott Mummy vielleicht zurückbringen. Dann würden Frank und sie nach Hause gehen, und es wäre Freitag, was bedeutete, dass Mummy sie an der Tür begrüßte, nach dem Parfüm aus diesem wundervollen goldenen Flakon duftend, der auf ihrer Frisierkommode stand, mit ihren Perlen um den Hals, die manchmal unangenehm drückten, wenn sie von ihr ganz fest umarmt wurden.
    Aber an diesem Tag gingen sie nicht mehr nach Hause. Sie verbrachten den ganzen Vormittag in der Klasse, und Algebra war Helen nie stumpfsinniger vorgekommen, und dann kam Tante Phoebe in ihrem kleinen grauen Wagen, und sie fuhren Meilen und Meilen, ohne dass ein einziges Wort fiel. Selbst Frank weigerte sich zu sprechen.
    »Was stimmt nicht mit dem Jungen?«, fragte ihre Tante, als sie schließlich in eine lange Kiesauffahrt bogen, die zu einem Haus führte, das Helen noch von ihrem Besuch im letzten Sommer zusammen mit ihrer Mutter in Erinnerung hatte.
    »Er hat einen Schock.« Helen stieg aus dem Wagen und blickte sich um, während sie im Geiste das Lachen ihrer Mutter hörte, als sie das letzte Mal hier gewesen waren. Es war so deutlich in ihrem Kopf, eine Mischung aus Blubbern und Sonnenschein und frisch gemähtem Gras, und es kam ihr unvorstellbar vor, dass sie tot war.
    »Wir stehen alle unter Schock.« Ihre Tante bedachte sie mit einem strengen Blick. »Aber so ist der Krieg. Solche Dinge passieren eben. Wir müssen uns einfach damit abfinden.«
    »Darf ich sie sehen?« Helen spielte verlegen mit den Fingern hinter ihrem Rücken, während ihr bewusst wurde, dass sie vielleicht etwas Falsches gesagt hatte, dem verkniffenen Gesicht ihrer Tante nach zu urteilen.
    »Sie sehen?« Phoebes Blick durchbohrte sie so scharf, dass Helen sich wünschte, in der riesigen Eingangshalle, die sie gerade auf dem Weg zur Küche durchquerten, in den kalten Steinboden zu versinken. »Warum um alles in der Welt möchtest du sie denn sehen?«
    »Um sicherzugehen, dass sie wirklich tot ist.«
    Aus Angst, Frank könnte es hören, sprach Helen leise.
    Phoebe nahm ihre Brille ab und setzte sie dann wieder auf. »Selbstverständlich ist sie tot, du dummes Kind. Denkst du, ihr wärt sonst hier?« Sie wandte sich um und stellte den Wasserkessel auf den Herd, aber ihre Worte hallten deutlich nach, als hätte sie sie

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