Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
Vom Netzwerk:
Schleim und immer mehr, es floß, es strömte, Perlmann preßte und preßte und hielt erst inne, als das Feuchte in der kalten Nase plötzlich warm wurde und das Taschentuch sich rot färbte. Während er das Tuch von sich weg hielt und überrascht auf das Blut sah, tropfte es von seiner Nase, und als er an sich hinunterblickte, waren das weiße Hemd und das hellgraue Lederpolster zwischen den Beinen voller Blutflecke. Er starrte regungslos auf diese Flecke, die an den Rändern langsam weiterwucherten, er war von ihnen wie hypnotisiert und vergaß, das Taschentuch wieder an die Nase zu halten, so daß das Blut rasch und stetig weitertropfte.
    Das war der Grund, weshalb er es erst spät spürte. Es war ein leichtes, abgehacktes Vibrieren des Bodens, das sich direkt auf das Auto und den Körper übertrug. Immer noch gefangengenommen vom Anblick des Blutes warf Perlmann einen schnellen Blick knapp über das Steuerrad hinweg nach vorn, und da erblickte er die beiden grellen, orangefarbenen Lichter, die in kurzen Abständen aufblitzten. Sie gehörten zu einem riesenhaften Bulldozer, der bereits ein gutes Stück im Tunnel drin war und auf Raupen, groß wie Panzerketten, langsam und ein bißchen ruckartig auf sie zukam. Die beiden blitzenden Lampen waren an zwei seitlich herausragenden Stangen angebracht und dienten der optischen Begrenzung der Maschine, die sich ganz dicht an der Leitplanke hielt und trotzdem noch ein Stück über den Mittelstreifen hinausragte. Es dauerte zwei, drei Sekunden, bis Perlmann sich von den Blutflecken losgerissen hatte und der Anblick der überdimensionalen Schaufel des Bulldozers, einer schwach gewölbten, hohen Wand mit seitlichen Zacken, ganz bei ihm angekommen war. Dann aber reagierte er blitzschnell. Er ließ das Taschentuch fallen, trat auf die Kupplung und drehte den Zündschlüssel. Der durchdringende Pfeifton überfiel ihn, er hatte ihn vergessen und fuhr zusammen wie beim erstenmal. Wieder drehte er den Schlüssel, ein knirschendes Geräusch, er hatte wegen des Pfeifens überhört, daß der leise Motor bereits angesprungen war. Er nahm das Steuer fest in beide Hände und fuhr los.
    Der Lancia, die sicherste italienische Kiste, beschleunigte seiden weich, Perlmann aber fuhr die Gänge voll aus, so daß der Motor aufheulte, das Blut floß warm auf Lippen und Kinn, das Pfeifen war zum Wahnsinnigwerden, er sah starr geradeaus, die Arme gestreckt, noch ein knapper Kilometer, jetzt sah er oben in der schmalen, gelben Kabine den Fahrer, einen schmächtigen Mann im blauen Arbeitskittel mit Beret, die gewölbte Wand mit den Resten von heller Erde war hoch, sie ist hoch genug, es wird ihm nichts passieren, jetzt also war es soweit, die letzten Sekunden seines Lebens, und selbst jetzt keine Gegenwart, er fuhr jetzt über hundert, das würde reichen, sein Kopf wurde ganz leer, alle Planung mit Schlingern und Theater wegen Lenkungsdefekt war vergessen, er wußte nur noch, daß er das Steuer rechtzeitig nach links herumreißen mußte, aber nicht zu früh wegen Leskov, jetzt hörte er den knatternden Motor des Bulldozers, das Vibrieren des Bodens verschmolz mit der Empfindung von Geschwindigkeit, dazu das wahnsinnige Pfeifen und Leskovs angstvolle Stimme, und dann war es plötzlich ganz still, alles geschah lautlos wie in Watte und Schnee, keine hundert Meter mehr, die Brille, er riß sie sich vom Gesicht, jetzt mußte er es tun, jetzt, er drückte sich in den Sitz, schloß die Augen und nahm die schweißnassen Hände vom Steuer.
    Neben ihm, nur Zentimeter vom Autofenster entfernt, blitzte es rötlich auf, er öffnete die Augen, sie waren vorbei, aber alles war verschwommen, die Linien waren gebrochen wie unter Wasser, er stieß mit der Hand gegen das Steuer, der Wagen scherte nach links aus, Perlmann riß ihn zurück und übersteuerte, der rechte Kotflügel prallte gegen die Leitplanke, der Wagen scheuerte der ganzen Länge nach am Metall entlang, es war ein ohrenbetäubendes Knirschen, jetzt hörte er auch das Pfeifen wieder, er zog den Wagen nach links in die Mitte des Tunnels, aber jetzt kamen aus dem Dunkel zwei Scheinwerfer auf ihn zu, jeder von ihnen wie ein ausgefranstes Bündel von leuchtenden Kristallen, die sich schwimmend gegeneinander verschoben, Perlmann zog nach rechts, wieder knallte und knirschte es, dazwischen das irrsinnige Pfeifen, aber er hielt das Steuer fest nach rechts gedreht, das ankommende Auto war vorbei, noch ein Knirschen, dann waren sie draußen im Dunkeln, Perlmann

Weitere Kostenlose Bücher