Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
Reifen.
«Und es ist doch etwas mit dir», sagte Leskov und legte ihm, sich hinüberbeugend, die Hand auf den Arm.«Bist du krank?»
Perlmann roch den Tabak und den Schweiß.«Es ist mir nur einen Moment lang schwindlig geworden», sagte er,«gleich geht’s wieder.»Er steckte eine Zigarette zwischen die Lippen und griff nach den Streichhölzern in der Jackentasche, weil er nicht wußte, wie er die untätigen Sekunden überstehen sollte, die der Anzünder brauchen würde.
«Das solltest du dann aber besser lassen», sagte Leskov, der gerade mit seinem vom Tabak gelben Daumen die Pfeife ausgemacht und das Fenster heruntergelassen hatte.
Perlmann hielt mitten in der Bewegung des Anzündens inne, schloß einen Moment die Augen und stieg dann wortlos aus. Er ging bis an den Straßenrand, zündete die Zigarette an und blickte in den Tunnel. Die Schaufel war nicht mehr dort, wohl aber der Lehmhaufen. Aus der Gegenrichtung kamen nur vereinzelt Autos. Er sah auf die Uhr: fünf Uhr dreizehn. Trotzdem hatte es vorhin noch diesen Laster gegeben. Warum sollten nicht noch weitere kommen.
Jetzt mußte er sich entscheiden. Es war eine Entscheidung zwischen Mord und Tod auf der einen Seite und auf der anderen dem Leben von einem, der seinen beruflichen Untergang, die öffentliche Zerfetzung seines Ansehens würde durchleben müssen. Wenn er jetzt durch den Tunnel weiterfuhr, an dem hellen Lehm vorbei und am anderen Ende hinaus in die Nacht, dann würde es Leskov eine Stunde später entdecken. Beim Abendessen erführen es die anderen, er würde hier niemandem mehr unter die Augen treten können, und von da an würde es Kreise ziehen, immer weitere Kreise, bis auch noch der letzte Kollege es wüßte. Und Kirsten würde es mitansehen müssen. Kirsten, der ich es niemals würde erklären können.
Er hatte vor sich auf den Boden geblickt und sah den Lastwagen, der ihm im Tunnel entgegenkam, erst jetzt. Sofort ließ er die Zigarette fallen und drehte sich zum Auto um. Leskov war ausgetreten und stand breitbeinig mit dem Rücken zu ihm am Rande des Kiesplatzes. Es hätte ohnehin nicht gereicht. Wieder zündete er eine Zigarette an, es war die zweitletzte. Langsam ließ er den Blick die Runde machen. Der Krämerladen der zahnlosen Alten war von einem schummrigen Licht erleuchtet. Im Westen ein letzter Streifen Licht am rötlichen Himmel. Das letzte Licht.
Leskov saß wieder im Auto und sah zu ihm hinüber. Anders als sonst rauchte Perlmann die Zigarette bis zum Filter hinunter, der heiße Rauch brannte in der Lunge, und jetzt hatte er einen Nikotingeschmack auf der Zunge, den er nicht mochte. Er hatte das Gefühl, daß gleich alle Kraft aus dem Körper weichen würde. Steif und mit gesenktem Kopf ging er zum Auto hinüber, stieg ein und schnallte sich an.
«Es tut mir leid wegen vorhin», sagte Leskov,«ich wollte dich nicht bevormunden. »
«Schon gut», sagte Perlmann leise und startete den Motor. Er fuhr auf dem Kiesplatz einen weiten Bogen und lenkte das Auto dann auf die leere Straße. Für einen Moment ließ er den Wagen nur rollen. Dann gab er Gas und fuhr in den Tunnel. Er blickte zur hellen Rundung des Tunneleingangs hinauf, und als sie über ihn hinwegzog, kam es ihm vor, als verließe er die Welt.
Kurz vor der ersten Ausweichstelle faßte er sich an die Stirn, bremste und fuhr auf den lehmigen Boden. Er hielt, ohne die Handbremse anzuziehen, genau in der Mitte zwischen den beiden Enden der Leitplanken. Er löste den Sicherheitsgurt und schlug beide Hände vors Gesicht.
«Es ist mir wieder schwindlig», sagte er durch die Hände. Leskov berührte ihn leicht am Arm und sagte nichts. Erst nach einer längeren Pause, während derer Perlmann zwischen den Fingern hindurch nach vorn in den Tunnel starrte, fragte er:«Glaubst du, daß du es noch bis zum Hotel schaffst?»
In diesem Moment erschien im Seitenspiegel das blaue, kreisende Licht eines Polizeiwagens. Der Wagen war schon vorbei, da bremste er abrupt und fuhr mit aufheulendem Rückwärtsgang in einer leichten Schlangenlinie zurück. Der Beifahrer stieg aus, setzte die Mütze auf und beugte sich zu Perlmanns Fenster hinunter.
«Hier können Sie nicht parken», sagte er barsch,«das ist nur für Notfälle.»
«Mir wurde plötzlich... schlecht, da mußte ich anhalten», sagte Perlmann mit trockenem Mund. Das italienische Wort für schwindlig war ihm entfallen, und er hatte in diesem einen Satz zwei Fehler gemacht.
«Ausländer?»fragte der Polizist, machte ein paar
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