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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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daß sie ihn nicht ausgezogen hatten. Wer außer Silvestri war es gewesen? Hatte außer diesen beiden sonst noch jemand das Zimmer betreten? In der Jackentasche waren die starken Schlaftabletten. Hatte Silvestri sie gefunden? Hatte er ihm die Vergiftung angesehen und gezielt gesucht? Oder waren sie womöglich beim Herauftragen herausgefallen?
    Leskovs Text. Um Gottes willen, hoffentlich haben sie ihn hier nicht gefunden. Unwillkürlich richtete sich Perlmann auf. Silvestri drehte sich um, stand auf und sah ihn mit einem Gesicht an, in dem sich auf sonderbare Weise ein warmes Lächeln und ein fachmännischer, ärztlicher Ausdruck verbanden.
    «Da bin ich ja gerade rechtzeitig zurückgekommen», sagte er.
    «Wie lange war ich ohnmächtig?»fragte Perlmann.
    Silvestri sah auf die Uhr.«Nur ein paar Minuten. Beruhigen Sie sich. Es besteht kein Grund zur Sorge. »
    Perlmann sank ins Kissen zurück. Ein paar Minuten. Das können zehn sein, oder zwanzig. Auf jeden Fall genug, um den Text zu finden. Wenn sie hören, wie Leskov am Donnerstag praktisch dasselbe wie in dem Text vorträgt, werden sie wissen, daß etwas nicht stimmt, und sie werden zwei und zwei zusammenzählen. Es ist noch nicht vorbei.
    «War Leskov auch hier drin?»fragte er heiser.
    «Ja», sagte Silvestri lächelnd,«er hat darauf bestanden, Brian Millar beim Tragen zu helfen. Er ist ziemlich ins Schnaufen geraten. Ein netter Kerl. »
    Dann hat er seinen Text hier gesehen, und nun wird er an den Tunnel zurückdenken . Perlmann fing an zu schwitzen und bat um ein Glas Wasser.
    Während er trank, sah ihn Silvestri nachdenklich an. Er zögerte, sich wie ein Arzt zu benehmen. Dann fühlte er Perlmann aber doch den Puls.«Haben Sie so etwas schon öfter gehabt?»
    Nein, sagte Perlmann, das sei das erste Mal.
    «Nehmen Sie Schlafmittel?»Silvestri ließ die Frage harmlos klingen, beinahe nebensächlich.
    Perlmann log und wußte sofort, daß er durchschaut wurde.
    Nachdem er die Zeitung zusammengefaltet und eine Gauloise angezündet hatte, lehnte sich Silvestri an den Schreibtisch und sagte eine Weile nichts. Perlmann war drauf und dran, ihm alles zu erzählen. Nur um mit seinen Gedanken nicht mehr länger allein sein zu müssen. Um endlich Ruhe zu haben.
    «Wissen Sie», sagte Silvestri langsam und ohne jede Spur von Belehrung oder Bevormundung im Ton,«Sie befinden sich in einem Zustand tiefer Erschöpfung. Noch nicht direkt gefährlich. Aber Sie sollten jetzt ein bißchen aufpassen. Ruhen Sie sich aus. Schlafen Sie viel. Und gehen Sie zu Hause zum Arzt. Er soll sie für alle Fälle gründlich untersuchen. Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie mich einfach. »Er ging zur Tür.
    «Giorgio», sagte Perlmann.
    Silvestri drehte sich um.
    «Ich... ich bin froh, daß Sie da waren. Grazie. »
    « Di niente », lächelte Silvestri und griff nach der Tür. Dann ließ er den Griff noch einmal los und kam zwei Schritte zurück.«Übrigens, ich finde viele der Beobachtungen in Ihrem Text sehr interessant. Besonders die Dinge über das sprachliche Einfrieren von Erleben und den Punkt, daß Sätze die Phantasie sowohl beflügeln als auch lähmen können. Er grinste.«Die anderen haben natürlich ein bißchen was anderes von Ihnen erwartet. Aber dem würde ich keine zu große Bedeutung beimessen. Und überhaupt sollten Sie das hier nicht so wichtig nehmen», sagte er mit einer Bewegung, die das ganze Hotel einschloß.
    Perlmann nickte stumm.
    Mit dem Einschnappen der Tür schlug er die Decke zurück und humpelte hastig hinüber zum Koffer. Entsetzt sah er, daß das Zahlenschloß auf der richtigen Kombination stand. Kein Text mehr drin. Die Adern unter der Schädeldecke schienen bei jedem Pulsschlag zerspringen zu wollen. Er setzte sich auf die Bettkante, nur um gleich wieder aufzuspringen. Das Telefonbuch. Die Hand auf den Kopf pressend riß er die Schublade des Schreibtischs auf. Unter dem Telefonbuch lag auch kein Text. Er wußte, es war vergeblich, aber er sah noch im Nachttisch und im Schrank nach. Sie hatten ihn also entdeckt und als Beweisstück mitgenommen. Leskov würde den Text identifizieren. Versuchtes Plagiat. Das war die einzige Erklärung für die von Perlmann sorgsam geheimgehaltene Existenz des Texts. Und in diesem Licht betrachtet wurde auch der Vorfall in der Veranda verständlich. Heute würden sie ihn noch schonen, er war gewissermaßen verhandlungsunfähig. Morgen aber würden sie ihn zur Rechenschaft ziehen.
    Perlmann drückte die Zigarette aus und war froh,

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