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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Schlaf noch heißen Gesicht entstand ein trockenes Brennen, als sei er stundenlang in eisiger Winterluft gewandert.
    «Bist du noch dran?»fragte Leskov.
    Perlmann sagte, ein Besuch würde ihn freuen. Er wußte nicht, was er sonst hätte sagen können.
    Der Himmel hatte sich überzogen, und es fiel ein leichter Regen aus einem hellen Grau. Die zweite Fassung. Der Regen fällt auf die g el ben Blätter. Die Fahrt über Recco und Uscio würde höchstens eine Stunde dauern. Wenn er Leskov bald wieder los wurde, konnte er rechtzeitig dort sein, um die Blätter noch im Hellen aufzusammeln. Er holte den Autoschlüssel aus der Tasche des Blazers und zog die verschmutzte Jacke an. So war es unübersehbar, daß er auf dem Sprung war.
    Kaum hatte sich Leskov in den roten Sessel fallen lassen, da holte er die Pfeife aus der Tasche und fragte, ob er rauchen dürfe.
    «Ja, natürlich», sagte Perlmann. Er hätte es nicht zu sagen brauchen. Lieber nicht, hätte er statt dessen sagen können. Aus dem Munde eines Schonungsbedürftigen hätte das genügt. Zwei kurze Wörter. Er hatte sie nicht gesagt. Er hatte es nicht vermocht. Jetzt roch er den süßlichen Tabak. Er würde überall hängenbleiben. Er würde ihn tagelang riechen müssen. Er haßte diesen Russen.
    Da habe er ihnen aber einen schönen Schreck eingejagt, sagte Leskov. Er habe natürlich sofort an seine Übelkeit auf der Fahrt und an die Aufregung im Tunnel denken müssen. Die anderen wüßten davon übrigens nichts. Er habe gestern abend nur vage etwas von Unwohlsein gesagt, um Perlmanns Abwesenheit beim Essen zu erklären. Die Einzelheiten, sagte er lächelnd, gingen außer sie beide ja sonst niemanden etwas an, nicht wahr.
    Die Intimität, die er ihm mit dieser Bemerkung aufzwang, konnte nicht die Intimität der Erpressung sein. Perlmann wußte das, auch wenn sich diese Gewißheit noch sehr frisch und ein bißchen wacklig anfühlte. Trotzdem war es eine unerträgliche Intimität, und sie machte Perlmann so wütend, daß es ihm plötzlich gleichgültig war, daß der Regen stärker zu werden schien.
    «Übrigens», sagte Leskov,«man hat mir inzwischen von dem Empfang im Rathaus erzählt. »Er lächelte.«Also waren es deine Medaille und deine Urkunde auf dem Rücksitz. Und jetzt verstehe ich auch die Krawatte, die da herumlag, als hättest du sie voller Wut nach hinten geschleudert. Das Ganze muß dir ja unheimlich peinlich und zuwider gewesen sein! Wir haben uns beim Mittagessen vor Lachen gebogen, als Achim die ganze Sache geschildert hat. »
    Von Perlmanns Text war Leskov begeistert. Er sei letzte Nacht noch lange aufgeblieben, um ihn ganz zu lesen. Er habe nicht ganz alles verstanden, eine Reihe von englischen Wörtern und Wendungen fehlten ihm eben doch. Aber sowohl die Themen als auch die Art, sie anzupacken – das alles habe eine überraschend große Nähe zu seiner eigenen Arbeit. Es sei wirklich schade, daß Perlmann den russischen Text noch zu schwer gefunden habe. Sonst hätte er diese Nähe auch sofort erkannt. Den Titel habe er aber doch sicher verstanden?
    Perlmann nickte.
    «Wir sollten einmal einen Text zusammen schreiben!»sagte Leskov und berührte ihn am Knie.
    Jedenfalls habe ihm Perlmanns Text Mut gemacht, hier über seine eigenen Dinge zu reden. Ein bißchen Bammel habe er nämlich schon gehabt. In einer derart illustren Gesellschaft. Er finde es ganz toll, daß man hier so offen sei und es keinerlei akademische Zwangsjacke zu geben scheine. Wenn ihm nur dieser schreckliche Lapsus mit seinem Text nicht passiert wäre. Er stieß hastig große Rauchwolken aus, die sich im Zimmer immer mehr zu einer geschlossenen Decke aus blauem Dunst verdichteten, die den ganzen Raum in Kopfhöhe durchschnitt.
    «Ach so, das kannst du ja gar nicht wissen», unterbrach er sich und gestikulierte lebhaft.«Ich habe dir doch von der zweiten Fassung meines Texts erzählt, und davon, daß ich sie wegen dieses ärgerlichen Anrufs beinahe zu Hause vergessen hätte. »Leskov wartete, bis Perlmann nickte.«Und nun scheint es, daß genau das tatsächlich geschehen ist. Gestern abend nämlich, wie ich vom Essen zurückkomme, fasse ich ins Außenfach des Handkoffers, wo der Text hätte sein sollen. Aber da ist nichts. Einfach nichts. Leer. »Leskov preßte die Fäuste gegen die Schläfen.«Es ist mir ein völliges Rätsel. Ich könnte schwören, daß ich ihn im letzten Moment noch eingesteckt habe. Es war doch gerade das offene Außenfach, das mich daran erinnert hat.

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