Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
und Perlmann war froh, als der Junge die betretene Stille beendete.
Der Umschlag, den er ihm reichte, war ideal, Perlmann sah es sofort. Es war ein gebrauchter Umschlag mit Adresse und amerikanischem Absender. Die Marken, so entnahm er seinen Gesten, hatte der Junge abgelöst. Der Umschlag war aus dickem, gelbem Karton, der sich wächsern anfühlte, er hatte eine Kunststoffpolsterung und verstärkte Ecken, und in der Größe paßte er genau.
«Perfetto», sagte Perlmann zu dem Jungen, der ihn anstrahlte und entrüstet abwinkte, als er Geld hervorholte.
«Dreitausend», sagte die Frau, die den Blick nur für einen kurzen Moment vom Boden hob.
Während Perlmann ihr das Geld gab, schnappte sich der Junge mit wütendem Gesicht den Umschlag, suchte in einer Schublade und überklebte schließlich Adresse und Absender mit zwei frischen Etiketts. Ohne die Frau eines Blickes zu würdigen gab er Perlmann den Umschlag und machte die scherzhafte Andeutung eines Salutierens.
An der nächsten Ecke warf Perlmann alle anderen Umschläge in einen Abfallbehälter. Als er die Straße überquerte, sah er den Mann mit der Krücke, der ihn anscheinend die ganze Zeit beobachtet hatte. Der Verrückte mit den weggeworfenen Umschlägen. Beim Brunnen eines Schulhauses spritzte er Wasser auf den gelben Umschlag. Es bildeten sich kugelrunde Tropfen, die beim Schütteln und Blasen vollständig verschwanden. Der russische Bahnsteig war auf einmal nicht mehr wichtig.
Im Reisebüro buchten sie ihn für Samstag mittag auf einen Flug nach Frankfurt. Für den Rückflug um fünf konnten sie ihn nur auf die Warteliste setzen. Danach ging Perlmann langsam in Richtung Hotel und überlegte sich, wie er seine Handschrift verstellen konnte, wenn er Leskovs Adresse auf das Etikett schrieb. Welche Adresse?
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Eine Hand packte ihn von unten am Ärmel, und als er sich erschrokken umsah, blickte er in das lachende Gesicht von Evelyn Mistral, die am Tisch eines Cafés saß. Sie zog ihn auf einen Stuhl herunter und winkte dem Kellner. Zögernd legte Perlmann den gelben Umschlag auf den Tisch. Es ist ungefährlich, sie kann ja nicht wissen, wofür er ist. Während er auf seinen Kaffee wartete und sie darüber redeten, wie warm es immer noch war, obwohl es bereits dämmerte und an den Tischen die Lichter angingen, überlegte er krampfhaft, was er sagen konnte, wenn sie auf den Umschlag zu sprechen kam. Als er dann im Kaffee rührte, legte sie für einen Moment die Hand auf seinen anderen Arm. Was denn nun eigentlich los gewesen sei in den vergangenen Tagen, fragte sie. Man habe ihn kaum zu Gesicht bekommen, und wenn, dann sei er so sonderbar gewesen.«Reservado», lächelte sie. Und dann die Ohnmacht. Sie seien alle ziemlich ratlos gewesen, und besorgt.
Perlmann nahm noch einen Löffel Zucker. Er wußte nicht, wohin mit den Händen, und als er sie in die Jackentasche steckte, berührte er die Diskette, die er in der Zwischenzeit vergessen hatte. Als habe er etwas glühend Heißes oder besonders Ekliges angefaßt, nahm er die Hände sofort wieder aus den Taschen und zündete eine Zigarette an. Dann sah er eine Weile zu den vertäuten Jachten hinüber, die auf den Wellen eines Motorboots schaukelten.
«Ich weiß es selbst nicht», sagte er endlich und vermied es sie anzusehen.«Ich... ich bin einfach irgendwie aus dem Gleichgewicht. »»
«Und du hattest nicht die geringste Lust, etwas vorzutragen, nicht wahr?»fragte sie sanft und strich sich das Haar aus dem Gesicht, das sie in die offene Hand gestützt hielt. Perlmann blickte auf die abflachenden Wellen und nickte. Er wäre am liebsten gegangen, und gleichzeitig wünschte er, sie würde weiterfragen.
«Darf ich dir etwas sagen? Aber du mußt mir versprechen, es nicht übelzunehmen. »
Perlmann versuchte ein Lächeln und nickte.
«Wenn ich das so sagen darf: Ich glaube, du hast einen Fehler gemacht. Du hättest gleich am Anfang erklären sollen, daß zur Zeit alles ein bißchen schwierig für dich ist, und du hättest auch ohne weiteres sagen können, daß du nichts vortragen möchtest. Der Tod deiner Frau – das hätte doch jeder sofort verstanden. So sind dir die Dinge-mit dem Essen und so-als Überheblichkeit ausgelegt worden. Bis Vasilij alles zurechtgerückt hat. Wir anderen wußten ja kaum etwas. »
Also war es doch gut, daß ich ihm damals, bei der Festung, von Agnes erzählt habe. So konnte er jetzt die rettende Deutung liefern. Der Mann, den ich um ein Haar ermordet hätte.
In seiner
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