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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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ruhelos auf und ab ging. Wie lange war eine Luftpostsendung von Frankfurt nach St. Petersburg unterwegs? Und wie sicher war diese Postverbindung? Als Eilsendung konnte er den Text nicht schicken: Für derart brandeilig würden die Angestellten einer Fluggesellschaft ein Manuskript nicht halten. Konnte man sich vorstellen, daß sie es per Einschreiben schickten?
    Der Computer für die Flugreservierungen streikte, und man sagte ihm, er möge später wiederkommen. Perlmann war froh, daß es zum Schreibwarengeschäft ein ganzes Stück war, das Gehen half gegen den hilflosen Ärger. Außer der dicken Frau war heute noch ein lang aufgeschossener Junge mit einem Gesicht voller Pickel hinter dem Ladentisch. Auf Geheiß der Frau breitete der Junge wortlos verschiedene Umschläge aus. Die gewöhnlichen ohne Verstärkung und Wattierung schied Perlmann sofort aus. Dann nahm er denjenigen mit dem Kartonrücken und bog ihn hin und her, bis der Karton fast umknickte. Die Festigkeit gefiel ihm, aber das Papier war nichts Besonderes, und außerdem war er nicht sicher, ob der Umschlag für das ungewöhnliche Format der gelben Blätter groß genug war. Er befeuchtete den Zeigefinger an der Zunge und verrieb den Speichel auf dem Papier, das dunkelbraun wurde und sich Schicht für Schicht auflöste.
    «Keine Angst, ich bezahle natürlich dafür», sagte er zu der Frau, die empört nach Luft schnappte.
    Die beiden wattierten Umschläge, die ihm in der Größe genau zu passen schienen, waren aus mattem Papier, das weniger fest gepreßt war als das andere, glänzende, und sich unter dem Speichel beängstigend rasch auflöste. Bei dem einen quoll danach eine eklig aussehende, graue Watte heraus, bei dem anderen bestand die Wattierung aus durchsichtigem Kunststoff. Die geriffelte Folie würde die Feuchtigkeit abhalten. Aber was war, wenn unter dem Schnee mit dem zerfallenden Papier auch die Adresse verschwand? Perlmann legte auch diesen Umschlag beiseite. Während der Junge ihm wie gebannt zusah, schnaufte die Frau aufgeregt und machte ein Gesicht, als sei er dabei, den ganzen Laden auseinanderzunehmen.
    «Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen», beschwichtigte sie Perlmann und holte ein paar Geldscheine aus der Jackentasche,«ich werde für alles bezahlen.»
    Der letzte Umschlag war aus gut geleimtem, glänzendem Papier, aber die Wattierung war viel dünner als bei den anderen, und er war viel zu groß. Die Blätter würden hin und her rutschen und dadurch noch weiter beschädigt werden. Er ließ sich von dem Jungen, der einen ängstlichen Blick auf die Frau warf und immer noch kein Wort gesagt hatte, einen Stoß Schreibmaschinenpapier geben und probierte es aus, indem er den Umschlag wild hin und her schüttelte. Das Ergebnis war nicht ganz so schlimm wie erwartet, aber einige Blätter waren schon etwas eingestaucht. Er ließ sich verschiedene Maschinen fürs Heften zeigen, aber mit keiner ließ sich eine Naht von Heftklammern anbringen, die den Umschlag auf die richtige Größe verkleinert hätte. Beim Speicheltest schnitt das Papier gut ab. Unschlüssig drehte Perlmann den Umschlag hin und her, dann bat er plötzlich um ein Glas Wasser.
    Er mußte die Bitte wiederholen. Während der Junge nach hinten ging, zündete die Frau mit resignierter Miene eine Zigarette an, und als jetzt ein Mann mit eingegipstem Fuß und Krücke eintrat, der sie wie eine alte Bekannte begrüßte, warf sie ihm einen vielsagenden Blick zu. Perlmann trat mit dem Wasser vor die Tür und goß es über den Umschlag. Für zwei, drei Sekunden sah es so aus, als würde das Wasser an dem glänzenden Papier spurlos abtropfen. Dann aber überzog sich der Umschlag mit dunklen Flecken, die rasch größer wurden und sich zu einer einzigen, feuchten Fläche verbanden. Perlmann faßte in den Umschlag und spürte die Feuchtigkeit. Das Bild des russischen Bahnsteigs erschien, und dieses Mal tropfte der schmelzende Schnee. Als er sich umwandte, sah er die drei Gesichter dicht hinter der Scheibe. Der Irre mit dem Wasser auf den Umschlägen.
    Stumm und mit dem Gesicht von jemandem, der sich über einen Einfall freut, bedeutete ihm der Junge zu warten und ging nach hinten. Der Mann mit der Krücke steckte den Geldbeutel ein und verließ kopfschüttelnd den Laden. Perlmann zahlte und klemmte die verbrauchten Umschläge unter den Arm. Er lese viel in der Chronik, sagte er dann zu der Frau, die rauchend vor sich auf den Boden blickte. Aber sie schien sich nicht zu erinnern,

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