Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
Vom Netzwerk:
durch einen schäbigen Hausflur mit feuchten Wänden gegangen war. Ein bißchen verlegen war sie schon, dachte er, aber auch beeindruckt, und irgendwann würde sie sagen, sie fände es toll, einen Vater zu haben, der etwas so Ungewöhnliches tat.
    Er kaufte die nötigsten Toilettensachen. Dann ging er zurück ins Hotel, um sich zu rasieren und die Zähne zu putzen. Seit einer Woche dieselbe Unterwäsche. Er zog den Schlips aus der Blazertasche und band ihn um. Der Hemdkragen war nicht mehr sauber, und der Blutfleck auf dem Revers des Blazers war unübersehbar.
    Je näher er dem Olivetti-Gebäude kam, desto mehr schwand die Zuversicht. Nach der ungewohnten Rasur fühlte sich der Wind auf den Wangen schneidend an, und diese Empfindung ging in ein Gefühl allgemeiner Schutzlosigkeit über. Was wollte er Angelini eigentlich sagen? Wie sollte er seine Frage formulieren, wie begründen, damit das Ganze nicht wie ein romantischer Spleen klang, wie die Weglaufphantasie eines Zwanzigjährigen? Und wie ließ sich vermeiden, daß ein Zusammenhang mit der Ohnmacht sichtbar wurde? Es mußte, dachte er, leicht und undramatisch klingen, fast spielerisch. Aber nicht kapriziös. Trotz allem mußte hinter den leichten Worten das Gewachsene, Abgeklärte zu spüren sein.
    Der Parkplatz war fast voll, und immer noch strömten Menschen in das riesige Gebäude. Perlmann zählte sieben Stockwerke. Die Fensterscheiben der Hauptfront hatten einen kupfernen Schimmer. Dahinter saßen in neonhellen, großen Büros lauter Männer in Anzügen. Von dort aus hatte man einen wunderbaren Blick auf die Berge. Bei Sonne mußten diese Räume lichtdurchflutet sein, von mittags bis abends.
    Es war Viertel vor zehn. Die Tür, hinter der gestern der Wachmann gesessen hatte, war der Ausgang, durch den die Angestellten das Gebäude verließen. Dabei steckten sie eine Karte in einen Automaten. Eine elektronische Stechuhr. Perlmann zuckte zusammen. Vielleicht war es auch nur irgendeine Sicherheitssache. Andererseits: Jedermann konnte ungehindert durch den Haupteingang spazieren. Er würde es erfahren. Auch er würde eine Karte bekommen.
    Schon unter der Tür, sah er noch einmal zur Straße hinüber. Weit und breit keine Bar. Was er jetzt betrat, war eine Art Ghetto auf freiem Feld. Dafür gab es sicher eine erstklassige Cafeteria. Das hatte auch Vorteile.
     
    Angelinis Büro lag im vierten Stock eines Nebentrakts und hatte ein Vorzimmer, von dem noch zwei weitere Türen abgingen. Die Sekretärin strich sich das lange, blonde Haar aus der Stirn, während sie in den Terminkalender sah. Sein Name sei nicht eingetragen, sagte sie und sah ihn aus sommersprossigem Gesicht mit kühlem Bedauern an. Die Verabredung sei eher privater Natur, sagte Perlmann und versuchte, sich von der spitzen Nase und dem schmalen Mund nicht einschüchtern zu lassen. Sie sah auf seine helle Hose, und auch am Revers des Blazers blieb ihr Blick einen Moment hängen. Dann deutete sie achselzuckend auf einen Sessel und wandte sich wieder dem Bildschirm zu.
    Angelini erschien gegen halb elf. An seiner Schläfe waren noch Druckspuren vom Kopfkissen. Die Sekretärin reichte ihm unaufgefordert eine Tasse Kaffee, die er mit ins Büro nahm. Die Art, in der er sich für die Verspätung entschuldigte und Perlmann den Sessel neben dem Schreibtisch zuwies, war so routiniert, daß es an eine Karikatur grenzte. Er ließ einen Stapel Briefe durch die Finger gleiten, blätterte zurück und fischte einen Umschlag heraus, den er mit einem verzierten Brieföffner aufschlitzte. Während er den Text mit gerunzelter Stirn überflog, nahm er ab und zu einen Schluck Kaffee.«Nur eine Sekunde», sagte er und verschwand im Vorzimmer.
    Das einzige, was Perlmann an dem Raum gefiel, waren die Drucke von Miró und Matisse. Aber auch die hingen über den konventionell eleganten Möbeln, als gehöre sich das eben so. Der Schreibtischstuhl aus weinrotem Leder war zu protzig und paßte nicht zum schwarzen Schreibtisch; aber es war das einzige, was ein bißchen Individualität ausstrahlte. Der Blick aus dem Fenster lohnte sich nicht. Man sah auf einen Abhang mit Bäumen und Sträuchern, an denen nur noch wenige bunte Blätter hingen. Nur wenn man sich ganz links hinstellte, konnte man einen Blick auf die Berge erhaschen.
    Angelini entschuldigte sich noch einmal, als er sich im Sessel zurücklehnte und eine Zigarette anzündete. Sein Gesicht war jetzt entspannt und voller neugieriger Freundlichkeit.«Was kann ich für Sie

Weitere Kostenlose Bücher