Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
tun?»
Perlmann sah auf die gekreuzten Füße unter dem Schreibtisch, die knapp über dem Boden pendelten, und da entdeckte er unter dem Knöchel von Angelinis rechtem Fuß ein Loch in der Socke. Mit einem Schlag fühlte er sich sicher, und das mühsam unterdrückte Bedürfnis zu lachen gab seiner Stimme die nötige Unbeschwertheit.
«Ich wollte Sie fragen, ob die Firma vielleicht einen Job für mich hat. Als Übersetzer zum Beispiel. Irgend etwas in der Art.»
Das war das letzte, was Angelini erwartet hatte. Seine Füße hörten auf zu pendeln. Ohne Perlmann anzusehen griff er nach der Kaffeetasse und leerte sie in langsamen Schlucken. Er brauchte Zeit. Zum drittenmal fuhr er mit der Zigarette am Innenrand des Aschenbechers entlang. Dann sah er auf.
«Sie meinen...?»
«Ja», sagte Perlmann,«ich gebe die Professur auf. »
Angelini drückte die Zigarette aus. Sein Gesicht sah jetzt aus, als wisse es nicht, zu welchem Ausdruck es sich entschließen sollte.
«Darf ich fragen, warum? Hat es etwas mit...»
«Nein, keineswegs», sagte Perlmann schnell,«ich habe das schon lange vor. Ich möchte einfach etwas Neues anfangen. In einem neuen Land. »
Angelini nahm eine Zigarette und trat ans Fenster. Als er sich zu Perlmann umdrehte, war sein Gesicht voller verblüffter Bewunderung. Es war der persönlichste Ausdruck, den Perlmann bisher an ihm gesehen hatte.
«Wissen Sie», sagte er langsam,«das haut mich einfach um. Ein Mann von Ihrem wissenschaftlichen Format, Ihrem Ansehen. So etwas habe ich noch nie gehört. Ich find’s umwerfend. Großartig.»
Perlmann spürte den Magen. Die roten Hände werden ihn nie mehr losgelassen haben.
Angelini setzte sich an den Schreibtisch und spielte mit dem Kugelschreiber.«Da war die Sache mit diesem Übersetzer», sagte er.«Ich habe es am Telefon erwähnt, glaube ich. »
Perlmann nickte.
«Sie haben mir vorgeworfen, ich hätte ihn nicht gründlich genug getestet.»Er zögerte und warf Perlmann einen verlegenen Blick zu.«Und das nächste Mal bestehen sie auf einer Probezeit.»
Perlmann erschrak. Daran hatte er nicht gedacht.«Natürlich», sagte er.
Angelini beschrieb mit dem Kugelschreiber ein Muster auf der Schreibtischunterlage.«Andererseits: ein Mann mit Ihren Qualifikationen... »Er ging zur Tür.«Es wird einen Moment dauern. Ich will auch gleich noch fragen, wie die Sache mit der Arbeitserlaubnis eingeschätzt wird. »
Die Sekretärin brachte Perlmann Kaffee. Jetzt auf einmal ging ihm alles viel zu schnell. Probezeit. Er fühlte sich flattrig wie vor einer Prüfung. Im Gespräch mit Angelini hatte er seines Wissens keinen Fehler im Italienischen gemacht. Aber er hatte auch nicht viel gesagt, und nichts Kompliziertes. Die Fehler würden aber unweigerlich kommen. Von Minute zu Minute kam er sich, ohne daß das geringste geschah, schwerfälliger vor, langsam und begriffsstutzig. Wirklich begabt war er eben nicht, das war mit den Sprachen nicht anders als mit der Musik. Er hatte ein gutes Gedächtnis und war fleißig. Mehr war da nicht. Er war kein Luc Sonntag.
Angelini lächelte zufrieden, als er zurückkam.«Die Probezeit würde bei Ihnen nur einen Monat dauern. Reine Formsache. Und wegen der Arbeitserlaubnis sieht die Rechtsabteilung keine Probleme. Wenn es um Sprachen geht, hat man da eigentlich immer gute Karten.»Sein Blick ließ erkennen, daß er in Perlmanns Gesicht etwas vermißte.«Und Sie sind ganz sicher, daß Sie das wollen? Entschuldigen Sie die Frage. Es ist nur... es ist einfach so ungewöhnlich. »
«Ich weiß», sagte Perlmann.
Auch jetzt hatte Angelini mehr an Reaktion erwartet. Doch nach einem kurzen Zögern gab er sich einen Ruck.«Könnten Sie am zweiten Januar anfangen? Die Firma macht Ihnen in den nächsten Tagen ein Angebot. Und mit einer Wohnung werden wir Ihnen auch zu helfen versuchen. »
Perlmann nickte zu allem.
«Wo Sie jetzt hier sind», sagte Angelini,«kann ich Ihnen schon mal Ihr Büro zeigen.»
Es war ein enges Büro mit zwei Schreibtischen, die sich direkt gegenüberstanden. Das Fenster ging nach hinten hinaus, nach Osten. Man sah auf einen flachen Bau hinunter, der mit dem Hauptgebäude durch eine Passerelle verbunden war. Dahinter, am Abhang, ein Elektrizitätshäuschen. In den Monaten, in denen es die Sonne über den Hügel schaffen würde, mochten es zwei, drei Stunden Morgensonne sein.
Die Frau am anderen Schreibtisch hatte die Lampe angemacht.«Das ist Signora Medici», sagte Angelini.«Unsere Chefübersetzerin.
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