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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Aussicht auf die neue Tätigkeit im hellen Büro war er für vorwurfsvolle Blicke unverwundbar.
    In der Halle setzte er sich in eine Ecke und packte die Bücher aus. Er nahm jedes einzelne in die Hand und untersuchte es mit einer verwunderten Gründlichkeit, als sei es ein Zeugnis aus einer sehr fernen, sehr fremden Kultur. Die meisten Titel las er erst jetzt mit Aufmerksamkeit. Er ging die Inhaltsverzeichnisse durch, und obwohl er mit all diesen Themen vertraut war, staunte er, was es alles gab. Aufs Geratewohl schlug er einige Seiten auf und las. Es waren brandneue Fachbücher, im Klappentext als revolutionär angepriesen, aber er hatte das Gefühl, dasselbe zu lesen wie immer schon. Es knackte im Buchrücken, wenn er zur nächsten Stichprobe überging. Die Hochglanzseiten mit den Abbildungen und Tabellen rochen besonders intensiv nach frischem Druck.
    Schließlich packte er alles wieder ein, nur Leskovs Text ließ er draußen. Nein, die eingestanzten Initialen auf dem Koffer konnten ihn nicht verraten. Plötzlich ekelte er sich vor den dunklen Schweißspuren am Griff. Auf dem Weg zum Waschraum trug er den Koffer auf den Armen wie ein unförmiges Paket. Er versteckte ihn hinter dem Abfallbehälter unter dem Waschbecken und ging dann mit raschen Schritten zur Sicherheitskontrolle, wo der Umschlag mit Leskovs Text mißtrauisch untersucht wurde.
    Sven Berghoff saß mit dem Rücken zu ihm, als er den Warteraum betrat. Perlmann erkannte ihn sofort am wirren roten Haar, dem hochgeklappten Kragen des Jacketts und der langen Zigarettenspitze aus Elfenbein, die seitlich aus seinem Mund herausragte. Er war der einzige, der Perlmann wegen der Beurlaubung Schwierigkeiten gemacht hatte. Es war seine Rache dafür gewesen, daß Perlmann, bei dem die Hörsäle stets überfüllt waren, auf der Suche nach Kreide kürzlich in seine Vorlesung geplatzt war, wo ganze sechs Hörer saßen. Berghoff war rot geworden, hatte behauptet, es sei keine Kreide da, wo doch neben dem Schwamm ein ganzer Berg lag, und obwohl Perlmann, um ihn nicht bloßzustellen, ohne Kreide wieder gegangen war, schnitt er ihn seither.
    Berghoffs Anblick versetzte Perlmann in helle Panik. Mit einemmal gab es keinen Leskov mehr und keinen Text, der auf die Post mußte. Es gab nur noch den dunklen Institutsflur, Hörsäle und Seminarräume, erwartungsvolle Gesichter von Studenten, nörgelige und salbungsvolle Bemerkungen von Kollegen. Er machte kehrt, schwang sich über eine Absperrung und rannte, Leskovs Text fest an die Brust gepreßt, hinaus zu einem Taxi, von dem er sich zum Bahnhof fahren ließ. Ruhiger wurde er erst wieder, als sich der Zug nach Ivrea in Bewegung setzte.

57
     
    Es war kalt, als er in Ivrea auf den Bahnhofsvorplatz hinaustrat. Ein eisiger Wind trieb ihm Sand von einer verlassenen Baustelle in die Augen. Obwohl es erst kurz vor vier war, fuhren viele Autos bereits mit Licht. Einen Taxistand schien es nicht zu geben. Die Hand mit Leskovs Text unter dem Mantel, ging er in Richtung Zentrum.
    Im Hotel fragten sie ihn verwundert, ob er denn überhaupt kein Gepäck habe. Das reservierte Zimmer, dessen Preis plötzlich höher war als vereinbart, kam ihm nach dem Luxus des MIRAMARE schäbig vor. Nachdem er geduscht hatte, zog er sich wieder an und trat ans Fenster. Auf den Berggipfeln des Aostatals lag Schnee. Das restliche Licht im Westen war kalt und abweisend.
    Beim Empfang gab es Schließfächer, aber für Leskovs Text waren sie zu klein. Man würde den Umschlag woanders aufbewahren.«Es passiert ihm nichts», sagte der Mann hinter der Theke lächelnd, als sich Perlmann an der Tür noch einmal umdrehte.
    Zur Olivetti-Zentrale ging man eine lange, gerade Straße entlang, die aus der Stadt hinausführte. Das mächtige Gebäude war dunkel, und die schwarze, in einem stumpfen Winkel gebrochene Fensterfront wirkte bedrohlich. Auf dem riesigen Parkplatz stand ein einziges Auto. Perlmann ging ein Stück um den sternförmigen Komplex herum und versuchte, im Inneren etwas zu erkennen. Hinter einer Seitentür saß ein Wachmann in Uniform an einem schwach beleuchteten Pult. Als er Perlmann sah, erhob er sich und leuchtete mit einer Stablampe nach draußen. Perlmann machte kehrt und ging zurück zum Hotel. Auf dem ganzen Weg stieß ihm der Toast auf, den er im Zug gegessen hatte.
    Kaum hatte er sich aufs Bett gelegt und mit einer Decke aus dem Schrank zugedeckt, fiel er in einen dumpfen Schlaf, in dem der Priester mit dem spitzen, mißgünstigen Gesicht

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