Pern 01 - Die Welt der Drachen
zitierte R'gul. »Machtgier ist dein Untergang!«
Lessa war entsetzt darüber, dass er es fertig brachte, auf diese Weise die moralische Niederlage des Weyrs zu rechtfertigen.
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Lob gebührt dem Drachenreiter.
Zollt es ihm durch Wort und Tat,
Seine starken Hände greifen
lenkend in das Schicksalsrad,
»Was, der edle F'lar verstößt gegen die Tradition?« fragte Lessa F'nor, als der braune Reiter höflich die Abwesenheit des Geschwaderführers entschuldigte.
Lessa gab sich keine Mühe, ihre Worte in F'nors Gegenwart zu zügeln. Der braune Reiter wusste, dass ihre Angriffe nicht ihm persönlich galten, und so zeigte er sich selten gekränkt.
Etwas von der Distanziertheit seines Halbbruders haftete auch ihm an. Heute jedoch verriet seine Miene keine Nachsicht; er sah Lessa missbilligend an.
»Er verfolgt K'net«, erwiderte F'nor geradeheraus. In seinen dunklen Augen stand Besorgnis. Er schob das Haar aus der Stirn, auch eine Geste, die Lessa an F'lar erinnerte.
»Oh, tatsächlich?« sagte sie scharf. »Es wäre besser, wenn er sein Beispiel nachahmen würde.«
F'nors Augen blitzten wütend.
Gut , dachte Lessa. Ich stoße auch zu ihm durch .
»Sie begreifen eines nicht, Weyrherrin: K'net nimmt Ihre Anweisungen zu wörtlich. Niemand würde es stören, wenn er hier und da ein paar kleinere Diebstähle beginge. Aber er ist zu jung, um Vorsicht zu üben.«
»Meine Anweisungen?« wiederholte Lessa unschuldig.
Dafür hatten F'Iar und F'nor bestimmt keinen Beweis.
»Wahrscheinlich hat er die Nase voll von diesem feigen Haufen!«
F'nor biss die Zähne zusammen und erwiderte kalt Lessas Blick. Sie sah, wie seine Hände den breiten Gürtel umkrampften.
In diesem Augenblick bedauerte Lessa, dass sie F'nor 125
verstimmt hatte. Er versuchte immer wieder, sie durch Plaudereien aufzuheitern, wenn ihre Laune allzu gedrückt wurde. Mit der kalten Jahreszeit waren die Rationen im Weyr immer kleiner geworden trotz K'nets regelmäßigen Diebstählen. Verzweiflung herrschte in den Felskammern.
Seit D'nols zaghafter Auflehnung schien jeglicher
Kampfgeist von den Drachenreitern gewichen zu sein. Selbst die Tiere spürten es. Ihre Haut hatte keinen Glanz mehr, und sie bewegten sich mit träger Apathie. Lessa fragte sich, ob R'gul seine rückgratlose Entscheidung bedauerte.
»Ramoth schläft«, erklärte sie F'nor ruhig. »Und um mich müssen Sie nicht herumscharwenzeln.«
F'nor sagte nichts, und sein Schweigen beunruhigte Lessa allmählich. Sie erhob sich und rieb die Handflächen gegen die Hüften, als könnte sie damit ihre letzten Worte fortwischen.
Nervös ging sie auf und ab und sah immer wieder zu Ramoth, die im tiefen Schlaf dalag. Die Drachenkönigin war jetzt größer als jedes andere Tier im Weyr.
Wenn sie nur aufwachen würde, dachte Lessa. Sobald sie wach ist, kann ich mich mit ihr beschäftigen. Aber sie schläft wie ein Stein.
»F'lar unternimmt also endlich etwas«, begann sie. Sie bemühte sich um einen ruhigen Tonfall. »Wenn es auch dazu beiträgt, unsere Rationen noch mehr zu verkürzen.«
»Lytol hat heute morgen eine Botschaft geschickt«,
erwiderte F'nor knapp. Sein Zorn hatte nachgelassen, aber die Mißbilligung blieb.
Lessa sah ihn erwartungsvoll an.
»Telgar und Fort haben sich mit Keroon beraten«, fuhr F'nor langsam fort. »Sie kamen zu der Ansicht, dass der Weyr hinter ihren ständigen Verlusten steht.« Wieder flammte sein Ärger auf. »Warum haben Sie K'net nicht genau kontrolliert, wenn sie schon diesen Hitzkopf auswählen mussten? Jeder andere wäre vernünftiger zu Werke gegangen C'gan, T'sum, ich ...«
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»Sie? Sie niesen nicht einmal ohne F'lars Einwilligung!«
entgegnete sie.
F'nor lachte nur.
»F'lar hat Sie für klüger gehalten, als Sie sind«, sagte er verächtlich. »Begreifen Sie denn nicht, weshalb er warten muss?«
» Nein «, schrie Lessa ihn an.
» Nein!
Muss ich denn alles erraten, muss ich einen Instinkt entwickeln wie die Drachen?
Beim Ei der Königin, F'nor, warum erklärt mir kein Mensch etwas?
Aber es beruhigt mich, dass er wenigstens einen Grund für sein Zaudern hat. Hoffentlich einen guten - denn ich fürchte, dass es bereits zu spät ist.«
Es war in dem Augenblick zu spät, als er mich daran
hinderte, T'bor aufzuhetzen, dachte sie, aber sie sprach es nicht aus. Statt dessen fuhr sie fort: »Es war zu spät, als R'gul meiner Herausforderung so feige auswich ...«
F'nor wirbelte herum, schneeweiß vor Zorn. » Das hat mehr Mut gekostet, als
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