Pern 03 - Drachengesang
schälte.
Stachelschwänze schienen vor allem aus einem Riesenmaul zu bestehen, aber wenn man den Kopf abtrennte, ließ sich der Rest locker vom Grätenstrang abziehen. Frisch gegrillt stellte er eine Delikatesse dar; aber auch geräuchert schmeckte das Fleisch noch hervorragend. Leider war das Ausnehmen von Stache lschwänzen die ekligste Arbeit, die es überhaupt gab.
Irgendwann im Lauf des Vormittags rutschte Menolly das Messer ab, und sie schnitt sich tief ins Handgelenk. Der Schmerz und der Schock waren so groß, daß sie einfach dastand und ihre Hand anstarrte, bis Sella merkte, daß sie mit den anderen nicht mehr Schritt hielt.
»He, Menolly, schläfst du mit offenen Augen … ach, du meine Güte … Mavi, Mavi!«
Sella konnte gemein sein, aber sie behielt stets die Nerven.
Sie packte Menollys Hand und begann den Blutstrom zu stillen, der aus der Arterie schoß.
Als Mavi kam und sie an den Pächterfrauen vorbeiführte, die rasch und geschickt Berge von Fisch ausnahmen, überkam Menolly ein Schuldgefühl. Die Weiber starrten sie an, als habe sie sich die Wunde absichtlich beigefügt, um nicht mehr arbeiten zu müssen. Nicht der Schmerz oder das seltsame Pochen in der Hand, sondern die Demütigung und die stummen Anklagen trieben ihr Tränen in die Augen.
»Ich hab es doch nicht mit Absicht getan!« stieß sie hervor, als Mavi sie in die Krankenstube der Burg brachte.
Ihre Mutter starrte sie an.
»Wer hat denn so etwas behauptet?«
»Keiner. Aber sie schauen mich alle so komisch an.«
»Mein Kind, du bist viel zu ichbezogen. Ich versichere dir, 56
daß kein Mensch etwas Derartiges denkt. Und jetzt halt die Hand einen Moment lang still – so!«
Das Blut schoß hoch, als Mavi den Daumen von der Schnitt-stelle nahm. Einen Moment lang wurde Menolly schwarz vor den Augen, aber sie nahm sich zusammen. Nur nicht schon wieder diese Ichbezogenheit! Sie tat so, als gehörte ihr die Hand nicht, die Mavi versorgte.
Mavi befestigte geschickt einen Knebelverband und wusch die Wunde mit einem scharfen Kräuterextrakt. Die Hand begann taub zu werden, und Menollys Gleichgültigkeit wuchs.
Die Blutung ließ nach, aber irgendwie schaffte sie es nicht, die Wunde anzuschauen. Statt dessen betrachtete sie ihre Mutter, die rasch die durchtrennte Ader nähte und den langen Schnitt klammerte. Schließlich strich Mavi dick Salbe auf die Verletzung und verband die Hand mit weichen Tüchern.
»So! Ich hoffe nur, daß nichts von dem Schleim in der Wunde geblieben ist.«
Zweifel und Besorgnis spiegelten sich auf Mavis Zügen, und in Menolly stieg Angst auf.
Mit einem Male fielen ihr andere Dinge ein: Frauen, die ihre Finger verloren hatten, und …
»Meine Hand wird doch wieder wie früher?«
»Ich nehme es an.«
Mavi log nie, und der kleine harte Knoten in Menollys Kehle löste sich.
»Sicher kannst du sie wieder benutzen – zumindest für alle praktischen Arbeiten.«
»Wie meinst du das … für alle praktischen Arbeiten? Werde ich … nicht mehr spielen können?«
»Spielen?«
Mavi starrte ihre Tochter an, als habe sie gegen ein strenges Tabu verstoßen.
»Diese Tage sind endgültig vorbei, Menolly. Du kennst alle Lehrgesänge und …«
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»Aber Elgion hat neue Lieder mitgebracht… die Ballade, die er am ersten Abend sang … ich habe sie nie zu Ende gehört.
Ich kenne die Begleitmelodie nicht. Ich möchte …«
Sie schwieg, zutiefst verängstigt von der verschlossenen Miene ihrer Mutter und dem Mitleid, das sie in ihren Augen las.
»Selbst wenn du nach diesem Schnitt die Finger noch bewegen kannst – spielen wirst du nicht mehr können. Gib dich damit zufrieden, daß Yanus so nachsichtig war, als du den alten Petiron versorgtest …«
»Aber Petiron …«
»Schluß jetzt mit dem Wenn und Aber. Hier, trink das! Und geh sofort ins Bett. Du hast viel Blut verloren, und es würde mir gerade noch fehlen, wenn du hier in Ohnmacht fielst.«
Betäubt von den Worten ihrer Mutter, achtete Menolly kaum auf den bitteren Geschmack des Getränks. Sie stolperte, gestützt von Mavi, die Steinstufen zu ihrer Kammer hinauf.
Trotz der Felldecken fror sie. Es war eine Kälte, die aus dem Innern kam. Aber der Wein und die Medizin wirkten rasch, und ihr letzter bewußter Gedanke war, daß man sie um das einzige betrog, das ihr Leben erträglich machte. Sie konnte sich nun vorstellen, was ein Reiter fühlte, der seinen Drachen verlor.
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Schwarz, unendlich schwarz,
Losgelöst von den Dingen.
Nichts, furchtbares
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