Pern 06 - Der Weisse Drache
nicht weiter darum ge-kümmert hatte. »Aber es gab auch jeden Tag ein neues Ereignis hier.«
»Versuchen hättest du es wenigstens können.« Menollys Stimme klang verärgert.
»Was? Und dich um das Vergnügen bringen?« Jaxom spielte den Gekränkten. »Nicht im Traum würde ich das wagen …« Er unterbrach sich unvermittelt und dachte zurück an seine sonderbaren Träume, in denen er stets glaubte, Bilder und Ereignisse durch Hunderte von Augen zu sehen. Konnte es sein, daß die Echsen ihm diese Szenen übermittelten?
»Was ist los mit dir, Jaxom?«
384
»Ach was, es war sicher nur ein Traum«, sagte er und lachte unsicher. »Paß auf, Menolly, wenn du heute nacht träumst, dann versuch dich daran zu erinnern.«
»Träume?« Sharra hob den Kopf und musterte ihn. »Was für Träume?«
»Hattest du auch welche?« Jaxom wandte sich ihr zu. Sharra saß gelassen am Boden, mit locker überkreuzten Beinen, und schaute ihn prüfend an.
»Sicher. Nur fallen sie mir nicht mehr ein. Ich weiß noch, daß ich die Bilder irgendwie unscharf sah. Als sei mein Traumauge getrübt.«
»Ein schönes Bild«, meinte Menolly. »Ein Traumauge –
getrübt.«
Piemur stöhnte und warf sich in den Sand. »Verlaßt euch drauf, da ist eine neue Ballade im Busch!«
»Ach, komm, halt den Mund!« entgegnete Menolly scharf.
»Die langen, einsamen Wanderungen haben dich irgendwie verändert, Piemur. Und diese Veränderung gefällt mir gar nicht!«
»Muß sie auch nicht!« fauchte Piemur. Mit einer geschmeid igen Bewegung sprang er auf und lief in den Wald, wo er zornig das Unterholz zur Seite schlug.
»Seit wann ist der denn so eklig?« wollte Menolly von Jaxom und Sharra wissen.
»Seit er hier ankam«, entgegnete Jaxom und zuckte die Achseln.
»Ich denke, er macht sich große Sorgen um Meister Robinton«, verteidigte ihn Sharra.
»Wir alle machen uns große Sorgen um Meister Robinton«, sagte Menolly. »Aber das ist doch kein Grund, seinen Charak-ter zu ändern.«
Es entstand ein peinliches Schweigen. Sharra erhob sich unvermittelt. »Ich will mal nach Dummkopf sehen. Vermutlich hat den heute noch keiner gefüttert.« Sie ging los, in eine etwas 385
andere Richtung als Piemur.
Menolly schaute ihr lange nach. Dann wandte sie sich wieder Jaxom zu, und in ihren Augen blitzte der Schalk. »Wenn wir schon mal unter uns sind, Jaxom«, flüsterte sie und schaute vorsichtig über die Schulter nach hinten, »kann ich dir eines verraten. Es steht inzwischen so gut wie fest, daß niemand aus dem Süd-Weyr Ramoths Ei zurückgebracht hat.«
»Tatsächlich?«
»Tatsächlich!«
Damit stand sie auf und ging zu dem Weinschlauch, der von einem Ast in der Nähe hing.
Wollte sie ihn warnen? Weshalb? Nun, da der Süd-Weyr
wieder unter Bendens Führung stand, war es unnötiger denn je, seine Rolle in dieser Angelegenheit zu enthüllen.
Menolly holte ihre Gitarre, setzte sich an einen der Tische und begann leise zu spielen. Ein neues Lied, dachte Jaxom.
Über Traumaugen. Dann schaute er zum Wald hinüber. Sharra war verschwunden. Ob es dumm aussah, wenn er ihr folgte? Er seufzte. Eigentlich mochte er Piemur gern, trotz seiner bosha ften Zunge. Er hatte sich gefreut, den jungen Harfner wiederzusehen, und er war dankbar für seine Gesellschaft und seine Hilfe. Er wünschte nur, er wäre einen Tag später in der Bucht aufgetaucht. Seit seiner Ankunft hatte Jaxom keine Sekunde mehr allein mit Sharra verbracht. Mied sie ihn absichtlich?
Oder waren es nur die Umstände, die sie trennten? Er mußte endlich einmal unter vier Augen mit ihr sprechen! Oder Corana aufsuchen!
386
XIX.
Vormittag in Jaxoms Bucht,
Sternbeobachtungen am späten Abend,
der Morgen danach,
Entdeckung am Bergkegel,
15.10.15 - 16.10.15
Als Jaxom und Piemur endlich aus ihren Schlafdecken krochen, berichtete ihnen Sharra, daß der Harfner mit den ersten Sonnenstrahlen aufgestanden und weit ins Meer hinausge-schwommen sei. Nach einem selbst zubereiteten Frühstück und einem eingehenden Studium der neuen Karten wünschte er nun Jaxom und Piemur zu sprechen – falls sie dazu schon in der Lage seien.
Meister Robinton lachte mitfühlend, als die beiden eintraten, noch schlapp und träge vom Fest des Vorabends. Nachdem sie ein paar Einzelheiten der neuesten Karten besprochen hatten, lehnte sich der Harfner in seinem Sessel zurück, spielte mit dem Stift und setzte eine so undurchdringliche Miene auf, daß Jaxom überlegte, was Robinton wohl jetzt wieder
Weitere Kostenlose Bücher