Pern 07 - Moreta, die Drache
Capiam. Man hat aufgehört, uns Zahlen zu übermitteln. In der Trommelbotschaft hieß es, daß zwölf Geschwader aufgestiegen seien, aber in dem jüngsten Bericht, den uns übrigens K'lon brachte, war von einhundertfünfundsiebzig Reitern die Rede. Auch eine Königinreiterin befand sich darunter. L'bol verlor gleich zu Beginn zwei Söhne.«
»Einhundertfünfundsiebzig? Gibt es Nebeninfektionen?«
»Davon wurde nichts gesagt. Wir haben allerdings auch nicht gefragt ...«
»Wie steht es auf Telgar? Und im Fort-Weyr?«
»Wir kümmerten uns in erster Linie um die Sterbenden und nicht um die Drachenreiter«, erklärte Desdra tonlos. Sie ballte die Hände zu Fäusten, bis ihre Knöchel weiß hervortraten.
»Ich verstehe. Aber unser aller Leben hängt von den knapp zweitausend Drachenreitern auf Pern ab. Nörgle bitte nicht ständig an mir herum, sondern besorg lieber alles, was ich für das Serum benötige. Und sobald K'lon hier eintrifft, soll er sich bei mir melden. Gibt es sonst noch jemanden in unserer Halle, der die Krankheit bekam und überstand?«
»Nein - keinen, der sie überstand.«
»Hmm. Wann wird K'lon hier sein?«
»Wir erwarten ihn jeden Moment. Er übernahm in den letzten Tagen den Transport unserer Heiler und Medikamente.«
»Gut. Was ich jetzt brauche, sind jede Menge steriler Zweili-tergläser mit Schraubdeckeln, reißfeste Schnur, frisch geschnittenes Schilfrohr ... hm, Nadeldorne habe ich selbst ... Rotwurz und ... ach ja, koch mir einige von den Spritzen aus, mit denen die Köche immer das Fleisch begießen. Ich besitze zwar einen Kasten mit gläsernen Spritzen, die Meister Clargesh eigens 240
nach meinen Anweisungen fertigen ließ, aber mir fällt im Moment einfach nicht ein, wo ich sie verstaut habe. So, ab mit dir! Halt, noch etwas, Desdra: ein wenig hochprozentigen Schnaps und noch mehr von deiner guten Suppe!«
»Das mit dem Schnaps leuchtet mir ein«, entgegnete sie von der Tür her. »Aber die Suppe, die du so verabscheust?«
Er schwang ein Kissen, und sie schloß lachend die Tür hinter sich.
Capiam blätterte in seinen Notizen, bis er den Anfang von Meister Gallardys Lektion gefunden hatte:
Bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit hat sich der Einsatz eines Serums bewährt, das aus dem Blut eines genesenen Patienten gewonnen wird. Verabreicht man einem Gesunden eine Serum-Injektion, so ist er vor Ansteckung geschützt.
Wird sie einem bereits Infizierten gegeben, so mildert das Blutserum den Verlauf der Krankheit. Lange vor den Überfahrten behandelte man viele ansteckende Krankheiten mit Serum-Impfungen, und es gelang, eine Reihe davon völlig auszumer-zen: Windpocken, Diphtherie, Grippe, Röteln, Roseola, Masern, Scharlach, Pocken, Typhus und Typhoide, Kinderläh-mung, Tuberkulose, Hepatitis, Virus-Zytomegalie, Herpes, Gonokokken ...
Typhus und Typhoide waren Capiam bekannt; es hatte mehrere Ausbrüche aufgrund unzureichender Hygiene gegeben. Er und die anderen Heiler fürchteten diese Krankheit wegen der beengten Lebensverhältnisse in den Burgen. Diphtherie und Scharlach waren im Lauf der letzten hundert Planetenumdrehungen gelegentlich aufgeflackert, zumindest so oft, daß er Symptome und Therapien während seiner Ausbildung gelernt hatte. Die anderen Krankheiten kannte er nicht; die Wortstäm-me waren sehr, sehr alt. Er mußte die einzelnen Begriffe im Lexikon der Harfner nachsehen.
Capiam las weiter. Wenn man einem genesenen Patienten anderthalb Liter Blut abzapfte, konnte man daraus fünfzig 241
Milliliter Serum zur Immunbehandlung gewinnen. Die Injekti-onsmenge schwankte nach Gallardys Worten zwischen einem und zehn Millilitern. Capiam dachte an sein Gespräch mit Tirone, bei dem er den Verlust der alten Techniken bedauert hatte. Mußte er nicht bei sich selbst beginnen? Hätte er nicht besser auf Meister Gallardys Worte achten sollen?
Capiam mußte nicht lange rechnen, um zu erkennen, welche gewaltige Aufgabe ihm bevorstand, wenn er sämtliche Drachenreiter impfen wollte, ganz zu schweigen von den Baronen und Gildemeistern oder den Heilern, die sich um die Kranken kümmern und die Impfungen durchführen mußten.
Die Tür schwang auf, und Desdra kam zurück. Capiam
konnte sich nicht erinnern, sie je so aufgelöst wie an diesem Tag gesehen zu haben. Sie schleppte einen Weidenkorb und stieß die Tür mit dem Fuß zu.
»Hier ist alles, was du mir aufgetragen hast ... dazu die Gla sspritzen, die Meister Genjon für dich anfertigte. Drei waren zerbrochen, aber die
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