Pern 07 - Moreta, die Drache
...
Heute, da er auf eine Heilertätigkeit von dreißig Jahren zurückblickte und wußte, daß man diesen Beruf ungeheuer ernst nehmen mußte, verfluchte er insgeheim die Gleichgültig-244
keit des von Frühlingsgefühlen geplagten jungen Burschen, der er damals gewesen war. »Das müßte reichen, Desdra. Vielen Dank!«
Atemlos verlangsamte Desdra den Schwung, stoppte den
Glasbehälter mit der freien Hand und stellte ihn sacht auf den Tisch. Capiam beugte sich vor, und gemeinsam bestaunten sie die Schichten, die sich gebildet hatten.
Desdra deutete zweifelnd auf die strohfarbene Flüssigkeit, die ganz oben schwamm. »Das ist also dein Heilmittel?«
»Im Grunde kein Heilmittel. Es macht den Körper immun.«
Capiam sprach das ungewohnte Wort sorgfältig aus.
»Muß man es trinken?« Die Stimme der jungen Frau klang neutral, aber unterschwellig spürte er ihr Entsetzen.
»Nein, obwohl es bestimmt nicht schlechter schmecken
würde als manche der Sachen, die ich in den letzten Tagen schlucken mußte. Nein, das hier wird in die Vene injiziert.«
Sie warf ihm einen langen, nachdenklichen Blick zu. »Deshalb also wolltest du die Glasspritzen.« Desdra schüttelte den Kopf. »Wir haben nicht genug davon.« Sie machte eine Pause und fügte dann hinzu: »Ich finde, wir sollten zuallererst Meister Fortine aufsuchen ...«
»Hast du kein Vertrauen in mich?« fragte Capiam gekränkt.
»O doch. Gerade deshalb mache ich diesen Vorschlag. Meister Fortine war einige Male zu oft im Lazarett unseres übervor-sichtigen Burgherrn. Er hat sich angesteckt.«
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KAPITEL X
Fort, Weyr und Ruatha, 16.03.43
Als Moreta erwachte, spürte sie Orliths Nähe. Die Königin strahlte Freude und Erleichterung aus.
Es geht dir besser! Das Schlimmste ist vorbei!
»Es geht mir besser?« Moreta ärgerte sich über das Zittern in ihrer Stimme. Zu deutlich erinnerte es sie an die entsetzliche Mattigkeit, die sie noch am Vortag gequält hatte.
Viel besser. Du wirst sehen, heute schöpfst du wieder Kraft.
»Weißt du das, oder hoffst du das nur?«
Moreta erkannte selbst, daß diese Frage eigentlich überflüssig war. Während der Krankheit war ihr Orlith so nahe gewesen, als habe sie in ihrem Körper Wohnung genommen. Sie hatte jeden Augenblick des Leidens mit Moreta geteilt, hatte versucht, die Auswirkungen der Krankheit zu dämpfen und zu vermindern. Die Drachenkönigin durchlitt mit ihr die rasenden Kopfschmerzen, die Fieberqual und den harten, trockenen Husten. Nun, am vierten Tag der körperlichen und geistigen Erschöpfung, benötigte sie vor allem Orliths Trost.
Holth hat eine großartige Neuigkeit! Meister Capiam besitzt ein Serum, das den Ausbruch der Krankheit verhindert.
»Verhindert? Und die bereits Angesteckten ... werden sie geheilt?« Moreta war sich selbst in der Abgeschiedenheit ihres Krankenlagers bewußt, daß es auf Fort eine Reihe von Kranken gab und daß in anderen Weyrn einige Reiter und Drachen sogar den Tod gefunden hatten. Sie hatte auch erfahren, daß am Vortag zwei Geschwader des Fort-Weyrs aufgestiegen waren, um für Igen die Fäden zu bekämpfen. Und daß Berchar und Tellanis Baby gestorben waren. Sie wußte, daß die Epidemie den gesamten Kontinent in ihren Klauen hielt. Es war höchste Zeit, daß die Heiler ein Mittel entdeckt hatten, um ihr Einhalt 246
zu gebieten.
Die Seuche hat einen Namen. Es ist eine sehr alte Krankheit.
»Ja? Wie heißt sie?«
Ich kann mich nicht erinnern, meinte Orlith schuldbewußt.
Moreta seufzte. Namen waren eine Schwäche der Drachen.
Und doch, dachte sie stolz, Orlith behielt eigentlich sehr viele Namen.
Holth erkundigt sich, ob du bereits Hunger verspürst.
»Bestell Grüße an Holth und unsere prächtige Leri und sag ihnen, daß ich sehr hungrig bin.« Moreta war selbst erstaunt über diese Tatsache. Vier Tage lang hatte ihr der bloße Gedanke an Essen Übelkeit bereitet. Durst hatte sie geplagt, ein hartnäckiger Husten, der in der Kehle brannte, und eine so entsetzliche Schwäche, daß sie zwischendurch geglaubt hatte, sie würde sich nie wieder von ihrem Krankenlager erheben.
Ohne Orlith hätte sie diese Zeit wohl nicht durchgestanden.
»Wie geht es Sh'gall?« fragte Moreta. Sie hatte bereits heftig gefiebert, als Kadith die beiden Königinnen Holth und Orlith mit der Nachricht weckte, sein Reiter sei zusammengebrochen.
Er ist schwach. Und er fühlt sich elend.
Moreta lächelte. In Orliths Gedanken schwang Verachtung mit, als wollte die Königin ausdrücken,
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