Perry Clifton und das Geheimnis der weißen Raben
Schultern. „Tut mir leid, Mister Clifton. Wenige Stunden nach dem Fund brach der Brand im Gästehaus aus. Als Henry, fast gegen Morgen, in sein Zimmer zurückkam, waren sämtliche eben erst gefundenen Papiere wieder verschwunden.“
„Vom Täter, so vermute ich, keine Spur?“ wirft Perry fragend ein.
„Sie haben recht, leider. Henry kann Ihnen aber bestimmt Näheres über diese Weissagung erzählen. Ich war in der bewußten Nacht nicht in Catmoor.“
„Ach?“
„Ja, ich war zum Angeln in St. Fillans. Das liegt am Loch Earn; es gibt die wunderschönsten Forellen dort.“
„Ich werde vorläufig leider darauf verzichten müssen, Ihren Herrn Bruder nach diesen Dingen zu fragen. Es könnte auffallen.“
„Sie haben recht“, stimmt Sir Douglas sofort zu. „Vielleicht ist es besser, wenn die anderen unbefangen bleiben.“
„Das schließt natürlich nicht aus, daß ich Ihren Bruder und auch Ihre Schwester gern einmal kennenlernen würde, Sir Douglas.“ Und nach einer nachdenklichen halben Minute fährt Perry fort: „Ich bin von folgender Tatsache überzeugt: Wenn der Täter schon nicht zu Ihrem Personal gehört, so hat er doch zumindest darunter einen — oder sogar mehrere Helfer.“
„Das glaube ich nicht!“ stößt Everbridge überzeugt hervor. „Nein, das glaube ich nicht.“
„Glauben Sie, Sir, daß es ein Geist war, der den Inhalt von Dickis kleinem Köfferchen mit einem ausgestopften weißen Raben vertauschte?”
Der Schloßherr windet sich. Man sieht, wie ihm Perrys Gedankengang Unbehagen einflößt, wie er sich dagegen wehrt, seinen eigenen Leuten mit Mißtrauen begegnen zu müssen. Und er sagt es auch: „Dieser Gedanke erscheint mir entsetzlich“, und plötzlich, erhellt sich sein Gesicht: „Es könnte natürlich auch so sein, daß die Aufzeichnungen und die Prophezeiung einem völlig Fremden in die Hände gefallen sind. Für ihn wäre es ein leichtes, Schlupfwinkel in geheimen Gängen und Kammern zu finden.“
Perry Clifton ist skeptisch. „Ich weiß nicht. Sagen Sie, Sir — was ist dieser Jamesberry eigentlich für ein Mensch?“
Jetzt lächelt Everbridge: „Ich möchte sagen, ein Zwischending von Philosoph und Possenreißer. Auf alle Fälle ist er völlig harmlos, manchmal ein bißchen durcheinander, aber sonst… Sind Sie nicht zufrieden mit ihm?“
„Doch, doch“, versichert Perry lebhaft, „ich wollte nur wissen, was ich von ihm zu halten habe.“
„Er singt manchmal geheimnisvolle Lieder, auch kann er sehr gut mit seiner Gitarre umgehen.“
„Ich wäre Ihnen dankbar, Sir, wenn Sie mir eine vollständige Liste Ihres Personals geben könnten.“
„Selbstverständlich; das werde ich noch heute abend erledigen. Und was das Kennenlernen meiner Geschwister anbetrifft, so würde ich Vorschlägen, daß Sie, Mister Clifton, morgen gemeinsam mit uns dinieren. Wäre Ihnen das recht?“
„Das wäre mir sogar sehr recht, Sir“, Perry Clifton erhebt sich, auch Douglas Everbridge schiebt seinen Hocker zur Seite. Auf seinem Gesicht liegt plötzlich ein Schatten, und der Detektiv spürt, wie sein Auftraggeber nach Worten sucht, um ihm etwas Unangenehmes zu sagen.
„Mister Clifton, Pamela, meine Schwester, ist manchmal ein wenig eigenartig… unfreundlich… und auch schwer verständlich… bitte, tragen Sie es ihr nicht nach. Der Verlust ihres Mannes hat sie sehr stark mitgenommen.“
„Machen Sie sich keine unnötigen Gedanken, Sir. Ich bin nicht empfindlich.“
Everbridge belohnt dieses Verständnis mit einem dankbaren Blick und wendet sich Dicki zu, der die ganze Zeit still und doch aufmerksam dagesessen hat:
„Nun, kleiner Mann, hoffentlich ist dir die Zeit nicht allzu lang geworden — oder?“
Dicki schüttelt lebhaft den Kopf: „Nein, Sir. Ich muß oft still sein, wenn ich mit meinem Freund Perry Clifton in einen Fall verwickelt bin!“
„Oh“, Sir Douglas tippt sich vor die Stirn, „ich hatte ja ganz vergessen, daß du ein Detektivgehilfe bist! Dann hast du ja auch bestimmt keine Angst vor den Geistern?“
„Habe ich nicht, Sir. Mein Großvater hat mir nämlich gesagt, daß es Geister ebensowenig gibt wie zwei Blinddärme in einem Bauch!“
Douglas Everbridge lacht.
Und Perry Clifton sagt: „Diese nicht zu widerlegende Behauptung wurde mir gestern schon serviert. Leider ist er, was die französischen Vokabeln anbetrifft, nicht ganz so schlagfertig.“
Geisterstunde
Als Perry Clifton und Dicki Miller, von Sir Douglas kommend, die Halle durchqueren,
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