Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perry Rhodan Neo 006 - Die dunklen Zwillinge

Perry Rhodan Neo 006 - Die dunklen Zwillinge

Titel: Perry Rhodan Neo 006 - Die dunklen Zwillinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Borsch
Vom Netzwerk:
–, aber er machte Fortschritte. Auf die Frage nach dem Namen seines Bruders fand er eine Antwort: Paul. Sie musste die richtige sein. Mrs. Keefer quittierte sie mit einem Hacken auf ihrer Checkliste.
    Und eines Tages stand ein Mann in seinem Zimmer, der sich Paul nannte. Er sah nicht aus, wie Monterny sich ihn ausgemalt hatte, nicht wie der Junge auf der Schaukel, an den er sich erinnerte.
    Der Mann war erwachsen. Und erfolgreich. Er trug einen teuren Anzug und eine Designer-Armbanduhr. Der Babyspeck, dem er kaum entwachsen war, schickte sich übergangslos an, in Wohlstandsspeck überzugehen.
    »He, Bruderherz! Wie geht es dir?« Er blieb vor dem Bett stehen, ohne ihm die Hand zu geben.
    »Ganz gut. Ich ... ich schätze, den Umständen entsprechend.«
    Paul nickte. »Du kannst von Glück reden. Vor zehn Jahren hättest du nicht überlebt. Ich habe mit den Ärzten geredet. Sie haben große Fortschritte bei Hirntraumata gemacht. Irak und Afghanistan haben ...«
    Monterny hörte nicht hin. Er hörte in sich hinein. Dieser Mann war sein Bruder – und nichts rührte sich in ihm. Er kannte ihn nicht, mehr noch, er mochte ihn nicht. Er las Selbstgefälligkeit in seinen Zügen. Mitleid. Und Abscheu. Monterny vermochte nicht zu entscheiden, was das Schlimmste von den dreien war.
    »Wieso bist du allein gekommen?«, unterbrach er den Bruder, der keiner war. Der Unbekannte ließ sich inzwischen über die Truppenverstärkung im Irak aus und die Aussichten eines Strategiewechsels angesichts der asymmetrischen Konflikte, welche die Armee im 21. Jahrhundert zu bewältigen habe. »Was ist mit unseren Eltern?«
    »Mom und Dad?« Paul wand sich. »Sie lassen Grüße ausrichten. Sie kommen dich wieder besuchen, sobald sie es einrichten können. Und, ach ja, ich soll dir das hier geben!« Er hielt Monterny den Blumenstrauß hin, den er in seiner offensichtlichen Nervosität vergessen hatte.
    »Stell ihn zu dem anderen!«, sagte Monterny. Er hatte den längst verwelkten Strauß, den ihm angeblich seine Eltern gebracht hatten, stehen lassen. »Im Schrank sind Vasen.«
    Paul holte eine Vase, stellte den Strauß auf dem Nachttisch ab. Er beugte den Oberkörper weit vor, streckte sich, als handelte es sich bei seinem Bruder um ein Raubtier, das jeden Augenblick nach ihm schnappen könnte.
    Peinliches Schweigen schloss sich an. Paul stand da und versuchte Monterny nicht anzusehen.
    Monterny erlöste ihn aus seiner Qual. »Wie geht es dir? Alles klar im Job?«
    Paul stürzte sich auf den Rettungsring, den ihm Monterny hinwarf. Monterny erfuhr, dass sein Bruder an der Wall Street arbeitete. Immobilien. Phantastisches Geschäft. Todsicher. Die Preise kannten nur eine Richtung: nach oben. Paul bot ihm an, er könne für ihn die Pension, die ihm die Armee sicher zahlen würde, anlegen. Er kenne da ein paar Leute ...
    Schließlich sah Paul auf die Uhr, stellte fest, dass es schon kurz vor vier war und er dringend losmüsse. Ein Meeting. An der Wall Street so wichtig wie der Sonntagsgottesdienst. Man durfte auf keinen Fall eines verpassen.
    Monterny ließ es durchgehen. Sein Magen hatte sich zu einem Knoten zusammengezogen. Eine Erinnerung war zurückgekehrt: Paul, der ihn bedrängte, nicht so dumm zu sein und sich zur Armee zu melden.
    Pauls Händedruck war schlaff und feucht.
    »Halt die Ohren steif, Bruder!«, sagte er noch, dann war er fort.
    Monterny war übel.
    Er zog den Rollator in Position, stützte sich auf die Bügel, arbeitete sich zum Bad vor. Er schaffte es gerade noch rechtzeitig zur Kloschüssel. Hinterher wuchtete sich Clifford Monterny ans Waschbecken, um sich den beißenden Geschmack von Erbrochenem aus dem Mund zu spülen.
    Im Spiegel sah er, weshalb sein eigener Bruder vor ihm geflohen war, als wäre er ein Ungeheuer.
    Die linke Hälfte seines Gesichts war unversehrt. Von links betrachtet war Clifford Monterny immer noch der idealistische Junge von nebenan, der für sein Land und eine gerechte Sache in den Krieg gezogen war. Der Junge, den alle mochten, dem die Herzen zuflogen.
    Die rechte Hälfte war verstümmelt. Der Sprengsatz, der ihn beinahe getötet hätte, war mit Schrauben und Nägeln gefüllt gewesen. Sie hatten sich in sein Fleisch gegraben und seine Züge in eine zerfurchte Landschaft der Qual verwandelt.
    Es war die Qual, die sein Dasein bestimmen sollte.
     
    Drei Monate nach dem Besuch seines Bruders wurde Clifford Monterny aus der Klinik entlassen. Niemand hatte ihn in der Zeit mehr besucht – niemand

Weitere Kostenlose Bücher