Perry Rhodan Neo 021 – Der Weltenspalter
ehe er antwortete. »Nein, ich bin ein Hüter der Moralischen Weisung. Wir gestalten unser Leben selbst.«
Seine Stimme wurde leiser, während er sprach, als verlören die zementierten Inhalte der Moralischen Weisung ihre Gültigkeit, als bröckele das Fundament der topsidischen Weltanschauung im Angesicht des Todes.
Michalowna lächelte; der Topsider kam ihr auf einmal sehr menschlich vor. »Ich frage mich allerdings manchmal, ob es nicht schön wäre, eine solche Instanz der Hoffnung zu haben oder zumindest jemanden, dem man die Schuld geben kann«, gestand sie.
Trker-Hon hob abwehrend die Hände. »Wehren Sie sich gegen solche Gedanken! Glauben Sie an den achten Satz: Die Lüge schmeichelt, die Wahrheit schmerzt, drum suche den Schmerz und gewinne die süße Frucht der Erkenntnis!«
Das Öffnen der Tür und die Ankunft Ogers-214 unterbrachen das Gespräch. »Hohe Inspekteurin?«
»Holen Sie einen Arzt! Derengar Crest hat einen Schwächeanfall erlitten.«
Der Orgh kam näher und beugte sich interessiert vor; die spindeldürren Chitinarme knisterten, als liefe Elektrizität darüber. »Seine Zeit ist gekommen?«
»Sie sollen einen verdammten Arzt holen!« Tatjana brüllte ihn geradezu an, weil der Atem des Arkoniden nur noch flatterte. So schwach, so zart, so ... sterblich. »Man muss ihm helfen!«
Oger-214 richtete sich kurz auf, nur um sofort wieder zusammenzusacken. »Er wusste, dass er sterben wird?«
»Er ist krank!«
»Hat er sein Wissen weitergegeben?«
»Wie? Nein – wir werden ihn retten!«
»Es tut mir leid. Ich verstehe es nicht. Er ist verantwortungslos.«
»Im Gegenteil! Er ist einer der verantwortungsbewusstesten Männer, die ich je kennengelernt habe. Davon verstehen Sie nichts. Und jetzt holen Sie endlich einen Arzt!«
Oger-214 blieb, wo er war. »Wer lebt, lebt. Und wer stirbt, stirbt. Niemand ist mehr wert als die anderen. Heilkunde ist irrelevant. Ist er ansteckend?«
Sie antwortete nicht auf seine Frage. »Ist es das, was Ihr Volk ausmacht? Mitleidlosigkeit? Gefühllosigkeit? Mangelnder Respekt vor einem großen Mann?« Tatjana schlug mit einer Hand nach dem Fremden, sie wünschte sich in diesem Moment tatsächlich, über jene Macht zu gebieten, die ihr die Orgh zuschrieben. Der Hieb tat ihr sicher mehr weh als dem Orgh, aber er zuckte zurück. In seinen Facettenaugen zeigte sich allerdings keine Regung.
Trker-Hon schob sich neben sie. Obwohl er gut drei Köpfe kleiner als der spindeldürre Insektoide war, wirkte er ausgesprochen bedrohlich. »Er ist ansteckend?«, fragte er.
»Nein! Und seine Zeit ist noch lange nicht gekommen!« Sie umarmte den alten Mann, selbst vollkommen überwältigt von der Wucht der Gefühle, die sie ihm entgegenbrachte und von denen sie nichts geahnt hatte. Crest war wie ein Großvater und Partner. Und er war ein Leitstern auf ihrer gefährlichen Reise durch Zeit und Raum. »Er darf nicht sterben!«
Oger-214 stand reglos. Ob er sie anschaute oder Crest oder ob er Trker-Hon taxierte – sie wusste es nicht. Aber er würde ihr nicht helfen. Er konnte es nicht, weil es in seinem Volk nicht vorgesehen war, das hatte sie begriffen.
»Ich weiß, wo er Hilfe finden kann«, sagte Oger-214.
Sie benötigte einen Moment, um zu begreifen, was sie da gerade gehört hatte. Sie hob den Kopf, bemüht, ihre herrische und stolze Tarnung wieder aufzurichten. »Dann bringen Sie uns dorthin!«
Der Orgh hob in einer Geste, die einem menschlichen Achselzucken glich, seine vier Arme. »Im Augenblick ist das unmöglich. Wird er einen weiteren Tag überleben?«
Trker-Hon zischte leise.
Michalowna legte eine Hand auf Crests Stirn, lauschte dem Atem. Er klang ruhiger als zuvor, auch ein bisschen kräftiger. Der Arkonide war eingeschlafen. »Ich hoffe es.«
»Erlebt er den Morgen, werde ich versuchen, ihm zu helfen«, sagte Oger-214 seinen bislang längsten Satz und ging ohne ein weiteres Wort.
8.
Tatjana Michalowna
Kedhassan, Tag 3, morgens
»Es tut mir leid, dass ich uns solche Ungelegenheiten bereitet habe«, flüsterte Crest und strich sanft über Tatjana Michalownas Handrücken. »Ich danke den Sternengöttern für zwei so großherzige Begleiter wie Sie beide.«
Der alte Mann hatte zehn Stunden am Stück geschlafen; dabei schienen die Lebensgeister wieder in ihn zurückgekehrt zu sein. Er wirkte noch immer schwach und unsicher, aber er konnte gehen und sich bewegen, auch wenn man ihm die Schmerzen ansah. Dazu brauchte Tatjana Michalowna ihre telepathischen
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