Persephones Erbe (German Edition)
Cargo durch die Gänge schleusten, bedrückten mich. Mich bedrückte aber noch mehr, dass mein bisheriges Leben unwiderruflich vorbei war. Ich war eine Psi, eine von einer undokumentierten Sorte, eine Seherin, die mit den Toten reden konnte. Das war schwer zu ertragen.
»He, es gibt nicht einmal einen Sicherheits-Check für uns!«
Armin war genauso überrascht wie ich. Unsere Eskorte brachte uns nicht nach oben auf die Ebene, in der die Sicherheitskontrollen stattfanden und die Warteräume lagen – neben Duty-Free-Shops und Cafeterias. Wir gingen im Gegenteil durch eine unbeschriftete Tür in den Frachtsortierungsbereich, durchquerten diesen und stiegen im Freien dahinter in einen Kleintransporter, der eine schier endlose halbe Stunde über das weitläufige Gelände des Flughafens fuhr. Da war es draußen schon grau. Die Morgendämmerung reichte gerade, endlich Lupercus letzte Botschaft an uns zu lesen. Ich öffnete den Briefumschlag und gab den Brief Armin. Er las ihn und gab ihn dann kommentarlos zurück. Es war die Rechnung für unseren Aufenthalt im Hotel Tenebre. Sie trug den Vermerk: Bezahlt.
»Wenigstens etwas!« Armins sonst so warme Baritonstimme klang bitter. Und kalt.
Ich blinzelte gegen Tränen an.
»Kati – um Gottes Willen! Wein doch nicht!« Armin schloss mich sofort in die Arme. »Du hast ja recht. Ich bin ein Idiot. Belaste dich doch nicht mit meinen Sorgen.«
Er küsste mir die Tränen von den Wangen. »Es ist ja nur, ich kann dir überhaupt nichts bieten.«
»Armin Landgraf, denkst du, jemand der seit Jahren von Hartz IV lebt, kommt nicht weiter damit zurecht?«
»Nein, das meine ich natürlich nicht. Du wirst immer mit allen Schwierigkeiten fertig werden, das weiß ich! Aber, Himmel, Kati, gestehe mir wenigstens zu, dass ich dir gern schöne Kleider gekauft hätte. Und so weiter.«
Das und so weiter entlockte mir ein verwässertes Grinsen. Darauf, was Armin darunter verstand, war ich wirklich gespannt! Aber schon winkte uns ein Flugbegleiter, in die Maschine zu steigen. Wir stiegen ziemlich tief unten im Bauch des Flugzeugs über eine kurze Gangway ein und mussten in der Maschine noch einmal über zwei Treppen nach oben laufen.
»Wo bringen die uns übrigens hin? Warum genau diese Maschine? Das ist ein Cargoflug!«
Dieses Mal überkam mich die Voraussicht blitzschnell, ohne jedes Rauschen. Mir tanzten auch keine schwarzen Flecken vor den Augen. Ich sah Armins gerunzelte Stirn ganz genau, als wir uns direkt hinter dem Cockpit im Bereich des Bordpersonals mit diesem anschnallten. Morgensonne schimmerte hinter Armins Schulter durch ein Bullauge. Der Helm der Merkurstatue am Wendepunkt, wo die Maschinen vor unserer eine nach der anderen auf den Runway einschwenkten, glänzte für einen Augenblick wie pures Gold.
In meinem Kopf rastete ein Puzzlesteinchen Verstehen ein. Aber es ergab wieder kein Bild. Das Detail war scharf umrissen. Ich sah die Malchow-Villa. Ich verstand nur nicht warum. Mein Mund öffnete sich fast gegen meinen Willen. Ich sagte: »Kann sein, dass du in Nürnberg eine Überraschung erlebst, Armin.«
»Hoffentlich eine angenehme. Allmählich könnte ich gute Nachrichten brauchen.« Er legte mir einen Arm um die Hüfte. »Kati, was auch geschieht. Ich möchte mit dir zusammenzubleiben.«
»Ich auch.« Ich hatte es ausgesprochen. Nun konnte ich nicht mehr zurück. Beklemmung überfiel mich. Er sah gut aus, ich mochte ihn und ich wollte endlich mit Armin im Bett landen. Ob es danach für uns einen Alltag gab und wie der dann aussah, das konnte ich mir noch nicht vorstellen. Oder besser gesagt: Ich sah hier nichts. Offenbar keine Details über die Zukunft der Seherin verfügbar.
Mein Blick fiel auf eine Frachtliste, die der German Wings Cargo-Mann, der uns gegenüber saß, aufgeschlagen auf dem Schoß liegen hatte. Die Fotos zeigten Marmorstatuen von Faunen.
»Wollen Sie die auch mal ansehen?«
Er gab mir die Liste. Ich blätterte. Agreos Statue war die erste. Aber der Marmor des Fauns wirkte sogar auf dem Foto schon merkwürdig stumpf, fast wie schlecht poliert. Man sah an Beinen und Rumpf sogar noch Meißelspuren. Ich machte Armin darauf aufmerksam.
»Du hast recht. Der ist nur eine schlechte Kopie.«
Mit den anderen Faunen war es das gleiche. Nomio, Menalio, Sino, am schlimmsten hatte sich der Bildhauer bei Lupercu vertan. Von der Eleganz seines Körpers war nur noch ein Schatten geblieben.
»Du magst ihn sehr, hm?«
Der German-Wings-Mann uns gegenüber schlief.
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