Persephones Erbe (German Edition)
Erde vor ihnen aufstieg, immer mehr Substanz. Doch lange würde das Mana des Lamms nicht mehr halten.
»Herr Wagner, ich würde gerne Laura zuerst fortschicken.«
Er nickte.
Mir war danach zu weinen. Kummer schnürte mir die Kehle zu, als ich die Hand nach der kleinen Nebelgestalt mit den dünnen Löckchen ausstreckte. Vorsichtig, um Laura nicht zu verwehen.
Tante!
Die Fünfjährige versuchte mich zu umarmen. Es ging natürlich nicht.
»Schlaf gut, mein Kind«, flüsterte ich.
Mir drehte es das Herz um. Rolf Wagner räusperte sich.
»Kann uns äh, Sophie, jetzt ihren Mörder nennen?«
Der Kontakt kostete mich immer mehr Anstrengung. Offenbar ließ das Mana des Lammbluts schon wieder nach. Ich berührte im Geist vorsichtig den Schatten von Sophie.
»Schau bitte die Männer an, die hinter der Grube stehen. Ist der dabei, der dir weh getan hat?«
Armin oder nicht? Ich hoffte sehr, dass ich mich nicht in ihm täuschte. Aber glauben und wissen sind zweierlei. Mein Herz klopfte heftig.
Sophies Geist glitt die Grube entlang. An Armin vorbei, zu Hansen, zu Rolf Wagner, zu Zachi. Sie betrachtete jeden einzelnen von Zachis Kollegen. Ihr
Nein
hörte nur ich. Aber dass die Erscheinung den Kopf schüttelte, sahen alle. Das Geistermädchen drehte sich um. Sophie zeigte auf den Wald hinter den Felsenkellern.
Er wohnt dahinten. In dem großen Haus
.
Danach wollte ich auch Sophie ins Vergessen zu schicken, doch anders als mit der kleinen Laura wurde es ein harter Kampf. Das Geistermädchen setzte mir unerwartet viel Widerstand entgegen. Sophie wollte nach Hause, sie weinte und flehte.
Aber, wenn mich die Mama nicht verkauft hat, dann wartet sie doch auf mich!
Ich musste schließlich all meinen Mut zusammennehmen und dem armen Kind knallhart ins Gesicht sagen, dass sie tot war. Es gab kein Zurück.
»Erinnere dich: Der Mann, der dir die Spritze gegeben hat – das war Gift.«
Für einen Augenblick herrschte köstliche Stille in meinem Kopf. Ich hörte hinter dem Sportheim nur noch den Wald. Doch dann vernahm ich mitten in dem friedlichen Rauschen der Bäume ein Seufzen.
Dann will ich bei den Kleinen bleiben!
»Sophie, das geht auch nicht.«
Aber die weinen!
Ich wusste nicht, was ich noch zu ihr sagen sollte. Mich selbst hätte zu diesem Zeitpunkt niemand mehr überreden müssen. Der Tod kam mir vor wie ein lockender, alles umfassender See. Am liebsten hätte ich mich gleich mit in die stillen Fluten des Jenseits fallen lassen. Ich war absolut geschafft.
»Geh endlich, Sophie!«
Alle meine Muskeln waren von der Anstrengung verkrampft, Sophie über die Grenze zu schieben. Doch sie klammerte sich hartnäckig zwischen dem Diesseits und dem Jenseits fest. Bis ich endlich begriff.
»Geh ruhig. Ich verspreche dir, ich kümmere mich darum, dass auch die Kleinen Frieden finden.«
Das war es. Auf einmal gab sie nach. Sophie sank ins Vergessen und mir war schlecht. Wie schrecklich, einem kleinen Mädchen sagen zu müssen, dass es tot war und tot bleiben würde. Ich fühlte mich wie Sophies Mörderin. Außerdem war es nicht vorbei. Es würde niemals vorbei sein. Und gerade heute wartete noch eine Aufgabe auf mich, vor der ich mich fürchtete. Plötzlich gaben die Beine unter mir nach.
Lupercu fing mich auf. Der Faun trug mich mit raumgreifenden Schritten von der erkalteten Grube fort. Mir war vom Gestank des Lammbluts speiübel. Die ersten Meter Richtung Straße glaubte ich, ich müsste mich jeden Moment erbrechen. Die Welt fuhr Karussell.
In der Einfahrt des Sportheims stand ein Notarztwagen. Doch er war nicht für mich bestimmt. Zwei Rettungsassistenten bemühten sich um Hansen, der totenblass auf einer Bahre lag. Ich keuchte. Lupercus Hände fassten mich fester.
»Das ist nur ein Schwächeanfall, Kati.«
Sophie endgültig aus dieser Welt zu lösen, war also nicht nur für sie und mich eine Tortur gewesen. Mein Schädel pochte. Lupercu rieb leise summend seinen warmen Bartflaum gegen meine Wange.
»Sorge dich nicht, Hansen wird es überleben. Aber mit den kleinen Mädchen ist es für ihn aus. Er wird dem Heilerberuf abschwören.«
»Kann man das?«
»Nein.« Lupercu küsste meine Schläfe. »Hansen wird daran zugrunde gehen. Aber er glaubt, dass er Buße tun muss.«
Der Faun setzte mich behutsam ab.
»Mach dir kein Gewissen daraus! Hansen weiß jetzt, durch dich, dass er alles loslassen muss, das ihn mit dieser Welt verbindet. Nur die, die frei von Stolz oder Begierden in das Reich unseres ältesten Bruders
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