Persephones Erbe (German Edition)
natürlich, ich schaffte es, den augenblicklichen Kuddelmuddel zu entwirren. Aber Hansen hatte niemanden und nichts. Außer seiner Gabe.
»Pass auch dich auf, ja? Geh nicht zu sehr an deine Grenzen.«
Als ob ein Heiler aufhören konnte! Hansen musste heilen. Er gab sein Mana, wann immer es jemand brauchte. Und er würde weitermachen, bis er starb. Er konnte nicht anders.
Tante? Wer ist der Mann?
»Das ist Herr Hansen«, sagte ich laut.
Teils aus Versehen. Ich war unkonzentriert, erschrocken. Hansen wirkte in gewisser Weise wie ein Katalysator auf mich. Ich sah, spürte mehr, als ich sonst sah. In einer Beziehung erleichterte es mir die Sache. Ich wusste zum Beispiel, dass Zachis Kollegen seit Hansens Ausbruch vollkommen von mir überzeugt waren. Sie glaubten mir die Seherin. Gleichzeitig stand aber vor mir ein Heiler, der zum ersten Mal in seinem Leben die Stimme eines toten Kindes wahrnahm. Und der damit absolut nicht umgehen konnte. Die Mädchenstimme in meinem Kopf erwischte Hansen kalt.
Tante? Wer bist du, Tante?
Das war nicht Laura. Nun, vielleicht bekam ich jetzt endlich die Chance, durch Hansens Schrecken, beide toten Kinder unterscheiden zu lernen.
Wer bist du, Kind?
Sophie
.
Hansen stöhnte.
»Es sind zwei. Kati – Frau Friedrich spürt, dass wir es mit zwei toten Mädchen zu tun haben.«
Ich drehte mich zu Rolf Wagner um.
»Er hat recht, Rolf – Herr Wagner. Laura und Sophie.«
Mindestens. Doch daran mochte ich jetzt nicht denken. Ich wollte nicht noch mehr tote Kinder wecken.
Unter Zachis Kollegen machte sich Unruhe breit. Ein Fahnder ging in die Hocke, klappte auf dem Boden einen Laptop auf. Flinke Finger tanzten über Tasten.
»Sophie? Wie alt ungefähr und wann verschwunden?«
Schwarze Flecken trübten meinen Blick auf die Wiese, verdichteten sich zu totaler Finsternis. Das Gefühl eines weiten, hallenden Raums entstand in mir.
Irgendwo tropfte Wasser. Kälte. Ein sechster Geburtstag im Januar und der Tag danach. Sophie war auf dem Nachhauseweg von der Schule von einer blonden Frau angesprochen worden. In der Stadt grassierte eine gefährliche Krankheit, die eine Untersuchung nötig machte. Sophie hatte ihr geglaubt. Die Nadel in ihrer Armvene tat weh. Glühender Schmerz kroch ihr den Arm hinauf. Aber der Mann sagte, gleich ist es vorbei, Püppchen. Schwärze, Kälte, Schmerz. Ein endloser, einsamer Traum
.
»Januar 2009. In Kleinreuth.«
Als ich die Augen wieder aufschlug, lag ich auf den Knien. Die beiden Polizisten hielten mühsam Armin zurück, der zu mir wollte. Rolf Wagner half mir hoch.
»Geht es wieder, Frau Friedrich?«
»Rolf, Herr Wagner, darf ich Armin eine Frage stellen? Es ist wichtig.«
Tante? Wer bist du, Tante?!
Die zweite flüsternde Stimme in meinem Kopf machte mir meine Aufgabe endgültig klar. Eine Seherin besaß keine Wahl. Wann immer die Toten mich riefen, musste ich mich ihnen stellen. Zwei kleine Mädchen brauchten mich. Sophie war ein paar Jahre älter als Laura. Aber auch sie war tot, vom selben Mann ermordet. Nur mit dem Unterschied, dass Sophie sich besser an ihren Mörder erinnerte: An sein straßenköterblondes Haar. Und dass er sehr groß war.
Größer als Armin?
Die Polizisten führen ihn zu mir.
»Kati, Liebling …«
Ein Schauder kroch über meinen Rücken. Wie groß war ein Erwachsener für ein Kind? Armin konnte mir gerade in die Augen sehen, wenn er vor mir stand. Rolf war einen halben Kopf größer und viel massiger, Malchow vergleichsweise dünn. Aber größer als Armin.
Mir klopfte das Herz bis in die Zähne. Trotzdem brachte ich die Frage, die sich mir aufdrängte, schließlich über die Lippen.
»Armin, gibt es in der Malchow-Villa eine Gruft?«
Armin wiegte den Kopf.
»Das nicht gerade. Aber genügend alte Bierkeller. Wir haben etliche Zugänge vermauert, als wir die Garagen und den Technikbereich unter dem künstlichen Hügel der Auffahrt anlegten. Dort ist ein ganzes System.«
Seine Augen wurden weit.
Ich konnte nur nicken.
Armins betroffenes Gesicht wirkte auf mich ehrlich. Besser gesagt, ich wollte gerne glauben, dass er nichts mit den beiden Mordfällen zu tun hatte. Aber ich kannte nur eine, zugeben unsichere Möglichkeit, wie ich das mir und natürlich den Anwesenden beweisen konnte. Ich drehte mich um. »Ich brauche Blut.«
Zachi sagte ärgerlich: »Kati, treibe es nicht zu weit!«
Rolf Wagner hob die Hand.
»Lassen Sie Frau Friedrich machen. Sonst noch etwas?«
»Milch, Honig, Wein und Wasser.«
Rolf Wagner sah
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