Persilschein
ihn Goldstein. »Handelt es sich um eine Selbsttötung?«
»Auf den ersten Blick ja. Aufgesetzter Schuss, Schmauchspuren an der rechten Hand …«
»Und auf den zweiten?«
»Keine Stanzmarke. Und Faserspuren im Einschusskanal.«
»Können Sie etwas konkreter werden?«
»Wenn sich jemand eine Wumme an die Schläfe hält und abdrückt, entsteht meistens als Stanzfigur die Laufmündung auf der Haut, aber die fehlt bei unserer Leiche. Außerdem müssen Schmauchspuren sichtbar sein.«
»Gab es die denn nicht?« Dann waren seine Zweifel, die er bei der Untersuchung des Toten zaghaft geäußert hatte, doch berechtigt gewesen.
»Ja, aber nicht unmittelbar am Einschussloch, sondern in einer geringeren Konzentration und ungleichmäßig verteilt etwas weiter entfernt. Im Schusskanal finden sich Faserspuren. Aber das sagte ich ja bereits, oder?«
»Und was heißt das nun alles?«, fragte Goldstein, obwohl er die Antwort schon kannte.
»Ich schließe daraus, dass der Schuss durch Stoff abgefeuert wurde. Vermutlich, um den Knall zu dämpfen. Da käme zum Beispiel ein Kissen infrage.«
Ein Kissen? Davon hatte sein Kollege am Tatort nichts erwähnt. Und auch im Bericht stand darüber kein Wort.
»Warum sollte ein Selbstmörder sich leise umbringen wollen?«, fragte Goldstein, allerdings mehr sich selbst.
»Keine Ahnung. Sie sind der Polizist. Finden Sie es heraus.«
»Am Tatort lag aber kein Kissen«, murmelte Goldstein.
»Bitte?«
»Ach, ich habe eigentlich nur laut gedacht. Ein Kissen oder etwas Ähnliches habe ich nicht ausmachen können.« Doch, korrigierte er sich augenblicklich in Gedanken. Die Kopfkissen. Sie lagen auf dem Bett.
»Dann war es auch kein Selbstmord«, antwortete Gerber trocken. »Ein Toter kann nur sehr schlecht etwas verstecken. Und dieser Schuss war sofort tödlich, glauben Sie mir. Da steht keiner mehr auf und schafft etwas beiseite.«
»Es gab keine Kampfspuren«, wunderte sich Goldstein. »Wer lässt sich denn ohne Widerstand eine Kugel in den Kopf schießen?«
»Haben Sie sich die Handgelenke des Toten angesehen?«
»Nicht genau. Zumindest das rechte war voller Blut.«
»Stimmt. Und darunter eine gut sichtbare Druckstelle. Links war sie nicht so ausgeprägt und kann leicht übersehen werden, wenn man nicht danach sucht. Es könnte sein, dass diese Abschürfungen von einem Seil stammen. Möglich wäre auch eine andere Ursache. Ein wirklicher Beweis ist das jedoch nicht. Lediglich ein starkes Indiz.«
»Vielen Dank, Herr Gerber. Steht das auch so in Ihrem Bericht?«
»Selbstverständlich. Ich werde ihn heute verfassen, muss ihn aber selbst in die Maschine tippen.« Er lachte. »Und das benötigt seine Zeit.«
Ein Kissen. Wie konnten seine Kollegen das übersehen? Goldstein entschloss sich, der Angelegenheit nachzugehen, ohne die Gelsenkirchener zu informieren. Gerbers Bericht würde sie mit der Nase auf ihr Versäumnis stoßen. Da musste er sie nicht noch mit seinem Wissen schulmeistern.
Unverzüglich ließ sich der Kommissar zu dem Hotel fahren. Es dauerte etwas, bis er dem Portier begreiflich machen konnte, dass er einen Blick in den Raum werfen wollte, in dem Müller gefunden worden war. Nach einem lautstark geführten Frage- und Antwortspiel brachte Goldstein endlich in Erfahrung, dass das Zimmermädchen gerade mit den üblichen Reinigungsarbeiten auf der entsprechenden Etage beschäftigt sei. Der Polizist solle sich an sie wenden.
Dann stand der Mann auf, umkurvte seinen Tresen, ging zum Treppenhaus und brüllte nach oben: »Da kommt gleich einer von der Polizei. Du kannst den in das Zimmer lassen.« Danach nickte er Goldstein zu, als ob er sagen wollte: »Alles erledigt.«
Die höchstens Siebzehnjährige öffnete ihm die Zimmertür und sah ihn dankbar an, als er ihr versicherte, dass er alleine zurechtkommen würde.
Der Teppich in dem Hotelzimmer war bereits durch einen anderen, ebenso alten, ersetzt worden. Ansonsten sah alles so aus, wie es Goldstein bei seinem ersten Besuch vorgefunden hatte. Ein seltsamer Geruch durchzog das Hotelzimmer. Wahrscheinlich ein Desinfektionsmittel.
Zielstrebig ging der Polizist zum Bett und nahm die beiden Kissen in Augenschein. Sie waren frisch bezogen worden. Goldstein öffnete die Knopfleiste und zog das Inlett heraus. Es war unbeschädigt. Beim zweiten Kissen wurde er fündig: ein Loch. Die Ränder verbrannt. Schmauchspuren.
Sorgfältig drückte er das Inlett zurück in den Bezug und drapierte das Kissen wieder auf dem Bett. Seine
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