Persilschein
Kollegen würden auf denselben Gedanken kommen wie er, sobald ihnen Gerbers Ergebnisse vorlagen. Sie würden das Zimmer erneut durchsuchen, das Kissen finden und die Selbstmordthese verwerfen. Er wollte ihnen nicht zuvorkommen.
Aber in einem Punkt musste er noch seine Neugier befriedigen. Er trat auf den Flur und sprach das Zimmermädchen an. »Sie haben doch das Zimmer geputzt und die Bettwäsche neu bezogen, nachdem alles von der Polizei freigegeben worden war, oder?«
Sie nickte als Antwort.
»Waren die Kissenbezüge unbeschädigt?«
»Ja«, antwortete sie schüchtern. »Abba …«
»Aber was?«
»Dat eine Inlett war kaputt. Bestimmt die Motten. Deshalb hab ich Mottenkugeln ausgelegt.«
Daher der Geruch. Und die Kleine nahm an, Motten hätten das Loch verursacht. Sollte sie.
Die Täter waren also so vorausschauend gewesen, das Kissen vorher aus dem Bezug zu holen, bevor sie es Müller an die Schläfe drückten. So blieb der Bezug intakt und sie konnten hoffen, dass die Schussöffnung nicht entdeckt wurde. Clever.
Aber nicht clever genug.
35
Montag, 9. Oktober 1950
Hauptkommissar Schwarz griff zum Telefonhörer und wählte die Nummer, die nur dem inneren Kreis bekannt war und über die der Kontakt zu den Amerikanern und der Organisation Gehlen hergestellt wurde. Nur wenige dieses Zirkels kannten sich persönlich, und wenn, dann aus dem Dienst bei Wehrmacht, Waffen-SS oder SS. Sie einte die Ablehnung des neuen Staates und ihr Hass auf die Sowjetunion, deren Angriff auf Deutschland nach ihrer Auffassung unmittelbar bevorstand. Doch sie würden im Gegenzug hinter den feindlichen Linien den Kampf fortsetzen und gemeinsam mit den westlichen Alliierten das beenden, was Hitler mit dem Unternehmen Barbarossa begonnen hatte.
Er zählte die Klingeltöne mit. Nach dem sechsten Läuten legte er auf, nur um anschließend erneut dieselbe Rufnummer zu wählen. Jemand nahm ab und fragte: »Ja?«
Schwarz antwortete mit dem vereinbarten Code: »Ist Alfred zu sprechen?«
»Nein, warum?«
»Ich habe ihm Karten für ein Mozart-Konzert besorgt. Sie spielen den Ring der Nibelungen .«
»Das ist von Wagner.«
»Da habe ich mich wohl geirrt.«
»Was gibt es?«, erwiderte der Angerufene.
»Sind Sie über die Fälle Lahmer und Müller informiert?«
»Ja.«
»Die Selbstmordversion Müllers lässt sich nicht halten.«
»Weshalb?«
»Der mit der Untersuchung beauftragte Gerichtsmediziner hat mir seine Ergebnisse mitgeteilt. Er ist zu der Auffassung gekommen, dass Müller ermordet wurde. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass auch der Bochumer Kollege an unserer Version zweifelt.«
Es blieb still in der Leitung.
»Sind Sie noch dran?«, fragte Schwarz.
»Wer weiß bisher von dem Bericht?«
»Außer mir niemand. Aber der Arzt will ihn heute abfassen.«
»Wie ist der Dienstweg in einem solchen Fall?«
»Üblicherweise erhält der Leiter der ermittelnden Behörde den Report als Erster.«
»Das wäre dann Ihr Vorgesetzter?«
»Nicht unbedingt. Schließlich wurde Müller in einer anderen Stadt bereits zur Fahndung ausgeschrieben.«
»Verstehe. Wer ist in Bochum zuständig?«
»Kriminalrat Saborski.«
»Wilfried Saborski?«
»Ich glaube ja.«
»Das dürfte keine Probleme geben. Ich kenne den Mann dem Namen nach. Er diente unter dem Totenkopf. Wie heißt der Arzt?«
»Doktor Gerber.«
»Danke für die Information. Ich kümmere mich darum.«
»Da gibt es noch etwas.«
»Ja?«
»Das Zimmermädchen. Der Hotelportier hat sich gemeldet und mir gesteckt, dass Goldstein …«
»Wer ist das?«, unterbrach ihn der andere.
»Der Bochumer Kollege, der den Fall bearbeitet. Also, dass dieser Polizist vor einigen Stunden im Hotel aufgetaucht ist, um mit der Hotelangestellten zu sprechen.«
»Warum muss uns das interessieren?«
»Sie hat die Bettbezüge gewechselt.«
»Haben Sie das Kissen nicht vorher ausgetauscht?«
»Nein. Ich hatte dazu keine Gelegenheit.« Schwarz standen kalte Schweißtropfen auf der Stirn.
»Das könnte in der Tat zum Problem werden und hätte nicht passieren dürfen. Erledigen Sie das. Aber diskret!«
Schwarz erschrak. »Ich soll … Ich meine, ich kann doch das Mädchen nicht …«
»Sie brauchen die Kleine nicht umzulegen.« Die Stimme klang ärgerlich. »Wir haben schon genug Aufmerksamkeit erzeugt. Reden Sie mit ihr, setzen Sie sie von mir aus unter Druck. Nur sorgen Sie dafür, dass Sie den Mund hält. Was ist mit dem Portier?«
»Ich habe ihn mit einem Hundertmarkschein
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