Persilschein
Klappe hält.« Er bewegte den Arm im Halbkreis. »Hat nur nicht so richtig funktioniert. Deshalb versuche ich es jetzt mit Alkohol. Klappt leider nur begrenzt.«
»Wollen Sie damit andeuten, dass Sie genötigt wurden, den Bericht umzuschreiben?«
»Genötigt?« Erneutes Lachen. »Gut formuliert, aber ja, so können Sie das auch nennen.«
»Wer hat Sie unter Druck gesetzt?«
Gerber schwieg und trank.
»Nun reden Sie schon!«
»Kein Wort mehr erfahren Sie von mir.« Gerber nahm wieder einen Schluck und schaute Goldstein aus traurigen Augen an. »Ich gebe Ihnen noch einen Ratschlag: Lassen Sie es dabei bewenden. Müller war ein Mörder. Wen interessiert es, ob er sich selbst die Pistole an den Kopf gehalten hat oder ihm jemand dabei geholfen hat.«
Mich, dachte Goldstein. Mich interessiert das.
»Müller hat sich umgebracht und fertig. Ist vielleicht besser so. Erspart dem Staat die Prozesskosten. Und den anschließenden Knastaufenthalt.« Gerber griff neben sich und zauberte eine weitere Flasche Schnaps hervor. Er schraubte den Verschluss auf, setzte an und trank. Der Hochprozentige lief ihm aus den Mundwinkeln. Der Arzt wischte sich die Alkoholreste mit dem Handrücken ab und sagte: »Wissen Sie, ich möchte noch etwas länger leben. Und schließlich hat es mit Müller ja keinen Falschen getroffen. Also, egal was Sie auch unternehmen werden: Ich bleibe bei dem, was in meinem Bericht steht.«
Für einen Moment erwog Goldstein, die Wahrheit aus dem Arzt herauszuprügeln, stattdessen fragte er: »Was, wenn ich eine zusätzliche gerichtsmedizinische Untersuchung beantrage?«
Wieder das bittere Lachen. »Was wollen Sie denn untersuchen lassen? Asche?«
Es dauerte einen Augenblick, bis Goldstein die Tragweite dieser Antwort begriff. Gerber hatte die Leiche bereits freigegeben und sie war im Krematorium verbrannt worden.
Angewidert und frustriert wandte sich Goldstein zum Gehen. »Sie tun mir leid«, sagte er nur noch.
Er war fast an der Wohnungstür, da hörte er Gerber rufen: »Ich habe Ihrem Gesicht angesehen, was Sie von mir halten. Schwächling, stand da geschrieben. Das stimmt doch, oder? Sie halten mich für einen Versager, einen Lügner. Für jemanden, der für einen Silberling seine Überzeugungen preisgibt.«
Goldstein blieb stehen und wartete.
Gerber schrie weiter: »Sie mit Ihrer verdammten Heldenattitüde. Der Ritter ohne Furcht und Tadel. Ich möchte Sie sehen, wenn Sie sich in meiner Lage befänden. Sie würden anders handeln? Dass ich nicht lache. Wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, über mich zu urteilen?« Gerbers Gebrüll ging in ein Schluchzen über. »Ich möchte einfach nur leben«, wiederholte er.
»Denken Sie an meine Worte«, hörte Goldstein noch, als er die Tür hinter sich zuzog.
Dann ließ er Gerber mit seiner Verzweiflung allein.
Zurück im Präsidium telefonierte der Hauptkommissar mit seinem Kollegen Schwarz von der Kripo Gelsenkirchen.
»Haben Sie den Bericht des Gerichtsmediziners schon erhalten?«, fiel er statt einer Begrüßung mit der Tür ins Haus.
»Guten Tag, Herr Kollege«, antwortete Schwarz. »Und um Ihre Frage zu beantworten: ja.«
»Was halten Sie davon?«
»Ich verstehe zwar nicht ganz, was Sie meinen, aber er deckt sich in vollem Umfang mit unseren Untersuchungsergebnissen. Selbstmord.«
Goldstein biss sich auf die Lippen. Sollte er Schwarz über seine Gespräche mit Gerber informieren? Doch da der Arzt bei seiner Stellungnahme bleiben würde, stand Aussage gegen Aussage. Einen Trumpf hatte er noch im Ärmel. »Und was ist mit dem Einschussloch in dem Kissen?«
Schwarz schwieg einen Augenblick. Dann fragte er zurück: »Von welchem Kissen reden Sie?«
»Ich meine, auf dem Bett ein Inlett mit einem Einschussloch ausgemacht zu haben. Aber vielleicht irre ich mich auch.«
»Herr Kollege, reden Sie nicht um den heißen Brei herum. Da war kein solches Kissen. Das wäre mir aufgefallen. Also, worauf wollen Sie hinaus?«
»Na ja, Müller war Linkshänder. Und es kommt mir einfach komisch vor, dass er die Waffe in der rechten Hand gehalten haben soll.«
»Und was hat das mit dem vermeintlichen Loch zu tun?«, erkundigte sich Schwarz.
»Nichts«, versicherte Goldstein. »Gar nichts. Ich sagte ja: Möglicherweise habe ich mich getäuscht.«
Aber die Saat des Zweifels war ausgebracht. So hoffte er jedenfalls.
Kaum hatte Goldstein aufgelegt, klingelte das Telefon. Die Sekretärin Saborskis teilte ihm mit, dass ihn der Kriminalrat sprechen wolle.
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