Persilschein
auf und ging zu einem Wandschrank. Er öffnete die Eichentür und zog nach kurzem Suchen seine Dienstpistole daraus hervor. Dann kehrte er zum Tisch zurück, die Waffe in der linken Hand.
»Ich bin Rechtshänder, wie Sie wissen.« Er entsicherte die Walther mit rechts, zog den Verschluss nach hinten, um den Abzugshahn zu spannen, und hielt sich die Pistole an die linke Schläfe.
Goldstein erstarrte. »Haben Sie sich vergewissert, dass kein Geschoss im Magazin …«
Es klickte vernehmlich, als der Schlitten nach vorne schnellte. »Bei einer geladenen Waffe wäre ich jetzt tot. Und das als Rechtshänder. Kein großes Problem, finden Sie nicht auch?«
Goldstein musste sich eingestehen, dass sein Vorgesetzter recht hatte. Das allein war tatsächlich kein tragfähiger Anhaltspunkt für Mord. Aber er hatte ein weiteres Indiz. »Ich habe im Hotelzimmer ein Kissen gefunden, welches ein Einschussloch aufweist.«
Saborski grinste. »Ja, davon habe ich gehört.«
Der Kommissar stutzte. Woher konnte der Kriminalrat das wissen?
»Ihr Gelsenkirchener Kollege hat seinen Vorgesetzten von Ihrem Verdacht informiert. Im Übrigen: Das hätten Sie eigentlich ebenfalls tun müssen. Nun, lassen wir das. Also, HK Schwarz hat seinen Chef über Ihren Hinweis in Kenntnis gesetzt. Natürlich ist Schwarz sofort in das Hotel gefahren und hat das Inlett überprüft. Fehlanzeige. Es war unbeschädigt. Wie erklären Sie sich das?« Saborski musterte Goldstein aufmerksam.
Dessen Gedanken rasten. Kein zerschossenes Kopfkissen? War es ausgetauscht worden? Oder hatte Schwarz gelogen?
»Ich sehe, es hat Ihnen die Sprache verschlagen. Aber keine Angst. Dieser kleine Irrtum bleibt unter uns. Schließlich arbeiten wir ja schon so lange zusammen. Und Fehler machen wir alle.«
Goldsteins Mund war staubtrocken. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Gerbers Rückzug – ein abgekartetes Spiel. Ohne jeden Zweifel. Und er war der Spielball. Als Krönung die geheuchelte Freundlichkeit Saborskis. Einfach nur zum Kotzen.
»Und Doktor Gerber hat ja in seinem Bericht den Selbstmord eindeutig bestätigt. Sie befanden sich auf dem Holzweg, mein Lieber. Manchmal sieht man ja den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wie gesagt, der Fall kann damit zu den Akten gelegt werden. Es sei denn, es gibt neue, mir noch nicht bekannte Erkenntnisse.« Er musterte Goldstein. Als dieser schwieg, erhob sich Saborski. »Ich erwarte Ihren Abschlussbericht.«
Er hielt Goldstein die Hand zum Abschied hin. »Ach ja, ich habe gehört, dass Sie gestern einen Tag Urlaub genommen haben, um mit Ihrer Frau nach Düsseldorf zu fahren.« Er seufzte. »Das müsste ich eigentlich auch einmal tun.« Als ob es ihm gerade erst eingefallen wäre, fügte er hinzu: »Was halten Sie von einigen Tagen Urlaub? Eine Woche? Das würde Ihnen und Ihrer Familie sicher guttun.« Er nutzte Goldsteins Überraschung und fuhr fort: »Nein, Sie brauchen mir nicht zu danken. Das ist doch selbstverständlich. Auf Wiedersehen, Herr Hauptkommissar.« Mit diesen Worten war Goldstein entlassen.
Wie betäubt stand der Polizist im Vorzimmer, bis ihn Saborskis Sekretärin ansprach. »Sie sehen ja aus, als ob Sie dem Teufel persönlich begegnet wären. War es so schlimm?«, fragte sie mitfühlend.
»Schlimmer«, murmelte Goldstein leise. »Und das mit dem Teufel stimmt ebenfalls.«
40
Donnerstag, 12. Oktober 1950
Konrad Müller war nicht bei der Sache. Sein Steiger hatte ihn schon zum zweiten Mal gerügt, weil er die leeren Wagen nicht rechtzeitig am Strebeingang bereitgestellt hatte, damit sie mit der gerade abgebauten Kohle gefüllt werden konnten. Stattdessen hockte er auf einem Holzstapel und hing trüben Gedanken nach. Erst die fordernden Rufe der anderen Kumpel rissen ihn aus seiner Lethargie. Seine Überlegungen kreisten nur um seinen Vater und die Männer, die ihn umgebracht hatten.
Der eine Mörder war derzeit unerreichbar für ihn. Er saß seine Strafe in einem Zuchthaus ab. Nach der Entlassung war immer noch Zeit, sich um ihn zu kümmern.
Jetzt galt es, sich mit dem Nazirichter zu beschäftigen. Dafür musste Konrad jedoch sein weiteres Vorgehen planen.
Natürlich hatte er die Möglichkeit, Pauly anzuzeigen. Aber mit einem solchen Schritt war er schon einmal gescheitert. Das Einstellungsschreiben der Staatsanwaltschaft konnte er wörtlich zitieren, so oft hatte er es frustriert gelesen. Immerhin kannte er mittlerweile den Aufenthaltsort des Richters. Doch was hatte er sonst in der Hand? Ein
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