Persilschein
gelogen.
Goldstein richtete sich auf. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Er würde weiter ermitteln, Beurlaubung hin oder her. Nur vorsichtig musste er sein. Jeden seiner Schritte genau abwägen. Denn eins war klar: Er legte sich ab sofort mit den ganz Großen an.
Nach einem verspäteten Frühstück fuhr er mit der Bahn nach Gelsenkirchen, um dort mit dem Zimmermädchen des Hotels zu sprechen. Es war schwierig, dem Portier sein Anliegen klarzumachen, aber das hatte Goldstein bereits erwartet. »Die Kleine, die hier geputzt hat?«, fragte der Alte schließlich. »Ist nicht da. Hat gekündigt.« Mehr gedachte er nicht zu sagen und kramte weiter ungerührt in irgendwelchen Unterlagen. Er kümmerte sich keinen Deut mehr um den Polizisten.
»Wie heißt denn das Mädchen?«
Der Mann sah nicht einmal auf. Goldstein packte ihn bei der Schulter. »Wie sie heißt, will ich wissen.«
»Wer?«
»Das Zimmermädchen.« Der Kommissar verlor langsam die Geduld.
»Ach so. Angelika.«
»Und weiter?«
»Weiß nicht.«
»Die Anschrift?«, schrie der Kommissar fast.
Kopfschütteln.
»Sie war hier stundenweise beschäftigt?«
Bedächtiges Kopfnicken.
»Sie müssen sie doch irgendwie erreicht haben.«
Erneutes Nicken.
»Verdammt noch mal, nun rücken Sie endlich heraus mit der Sprache und lassen sich nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen! Wie konnten Sie sie erreichen?«
»Angerufen.«
»Also bei ihr zu Hause.«
»Nee, die Familie hat kein Telefon. Bei Nachbarn. Die haben der Angelika Bescheid gesagt.«
»Dann geben Sie mir die Telefonnummer.«
»Ist auch weg. Stand auf dem Zettel mit der Anschrift. Hab ich in den Müll geworfen. Vorgestern. Warum sollte ich den aufheben, wo sie doch gekündigt hatte.« Der Mann schaute Goldstein treuherzig an. »Die Mülltonne wurde gestern geleert. Da brauchen Sie erst gar nicht suchen.«
Hätte der Portier den letzten Satz nicht fallen lassen, wäre Goldstein geneigt gewesen, dem Kerl zu glauben. Jetzt war sein Misstrauen geweckt.
»Hat einer meiner Kollegen mit Ihnen gesprochen?«
Schweigen.
»Hauptkommissar Schwarz möglicherweise?«
Der Hotelangestellte blickte kurz auf. »Nee«, meinte er nur.
Goldstein sah ihm an, dass er log. Aber hier würde er nichts mehr erfahren.
Auf der Straße verspürte er das Bedürfnis nach einer Zigarette. Er suchte in seiner Tasche und musste feststellen, dass er das Päckchen auf dem Wohnzimmertisch hatte liegen lassen. Er sah sich um. Weit und breit war keine Bude auszumachen. Und dann begann es auch noch leicht zu regnen. Was für ein Scheißtag!
Mit einem lauten Knall wurde auf der anderen Straßenseite ein Fenster geschlossen. Goldstein sah nach oben. Jemand zog im dritten Stock gerade die Gardinen zu. Natürlich! Auch als Müllers Leiche gefunden wurde, hatten die Kiebitze in ihren Fenstern gelegen. Vielleicht hatte einer von ihnen ja etwas beobachtet, was ihm weiterhelfen konnte.
Kurz entschlossen überquerte er die Straße, betrat das gegenüberliegende Gebäude und stieg in die dritte Etage.
Er drehte an der Klingel, die ein schnarrendes Geräusch von sich gab. Schritte waren zu hören. Ein schwergewichtiger Mann, der die sechzig deutlich überschritten hatte, öffnete die Tür.
»Ja?«, fragte er mit einer piepsigen Stimme, die in einem seltsamen Kontrast zu seiner Körperfülle stand.
Goldstein zückte seinen Dienstausweis. »Kriminalpolizei. Sie sind«, er warf einen schnellen Blick auf das Türschild, »Herr Wüttow?«
»Genau.«
»Ich hätte ein paar Fragen an Sie. Dürfte ich hereinkommen?«
Wüttow trat beiseite. Im Wohnungsflur roch es nach abgestandenem Rauch. »Gehn wir inne Stube.«
Im Wohnzimmer zeigte Wüttow auf einen der Sessel und ließ sich selbst auf das Sofa fallen. Da wartete er auf das Kommende.
»Sie wissen vermutlich, dass im Hotel gegenüber eine Leiche gefunden wurde?«
Der Dicke nickte.
Goldstein sagte: »Meine Kollegen haben Sie ja befragt, aber ich muss nun erneut …«
»Nee«, unterbrach ihn Wüttow. »Bei mir war noch niemand. Wissen Se, ich hab mich ziemlich gewundert, warum nich.«
Das überraschte Goldstein nicht wirklich. Wenn sich die halbe Kriminalpolizei im mittleren Ruhrgebiet auf die Selbstmordthese Müllers eingeschworen hatte, gab es auch keinen Grund, mögliche Zeugen eines Mordes zu verhören. »Jetzt haben Sie ja die Gelegenheit, mir Ihre Beobachtungen zu schildern.«
»Wat für Beobachtungen?«, piepste der Mann.
»Ist Ihnen in den Tagen vor dem letzten Freitag
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