Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
grammatikalisch-syntaktischen Analyse davon ab, welche Bedeutungen im semantischen Sprachgedächtnis bereits vorhanden sind und bei der Bedeutungserzeugung zur Verfügung stehen. Hieraus folgt wiederum, dass Kommunikation zwischen zwei oder mehr Personen gar kein direkter Austausch von Informationen ist, sondern eine Anregung zu wechselseitiger bewusster oder unbewusster Konstruktion von Bedeutungen.
Dies führt zu der scheinbar paradoxen Tatsache, dass Bedeutung erzeugende Systeme semantisch voneinander abgeschlossen sind. Keine Bedeutung dringt in sie ein und keine verlässt sie, sondern dies trifft nur für Erregungen bzw. Signale zu. Wenn Personen miteinander kommunizieren, tauschen sie untereinander Schalldruckwellen, d. h. akustische Signale aus, die ihr Gehirn als sprachliche Laute interpretiert (das macht das Gehirn automatisch). Welche Bedeutungen in ihren Gehirnen dabei erzeugt werden, hängt ausschließlich von den dort bereits vorhandenen Bedeutungen ab. Ich kann deshalb als Sprecher eine bestimmte, von mir gewollte Bedeutungserzeugung im Zuhörer nicht erzwingen . Dies heißt, dass eine bestimmte Mitteilung, die der Sprecher mit einer bestimmten Bedeutung äußert, von jedem Zuhörer in der ihm eigenen Weise verstanden wird, d. h. in der Weise, wie in seinem Gehirn die semantischen Bedeutungszuweisungen ablaufen.
Im Idealfall laufen sie in allen Gehirnen identisch ab; dann würde man von einem vollkommenen gegenseitigen Verstehen sprechen. Im Normalfall aber laufen sie unterschiedlich ab, d. h. derselben Mitteilung weisen die unterschiedlichen Gehirne unterschiedliche Bedeutungen zu, da sie unterschiedliche Lebensgeschichten und damit unterschiedliche »Semantiken« haben. Hierbei muss aber beachtet werden, dass diese Unterschiede nicht unbedingt – und auch im Normalfall nicht – als solche von den Beteiligten wahrgenommen werden. Folglich kann bei einer Kommunikation objektiv ein Missverstehen vorliegen, während einige oder alle Beteiligten mit dem Gefühl auseinander gehen, einander verstanden zu haben. Jeder geht mit seiner individuell-idiosynkratischen Interpretation nach Hause. Ein Großteil unserer Kommunikation besteht aus diesem Irrtum. Verstehen ist die Ausnahme, Missverstehen der Normalfall – nur merken wir meist nichts davon.
Die Gründe von Nichtverstehen
Triviale Gründe von Nichtverstehen – wie eine gestörte Kommunikation oder nicht richtig hingehört zu haben – wollen wir einmal ausschließen. Dann bleiben zwei Möglichkeiten des Nichtverstehens übrig. Die erste Möglichkeit besteht darin, dass mein Kommunikationspartner ein bestimmtes Wort oder eine bestimmte Aussage zwar akustisch richtig aufnimmt, dass das Wort bzw. die Aussage aber in einen anderen Bedeutungskontext gestellt wird als denjenigen, den das Wort bzw. die Aussage in meinem Gehirn hat. Eklatant ist dies bei semantisch hochstufigen Wörtern wie »Ehre« oder »Liebe«, die in jedem Gehirn eine etwas andere, manchmal dramatisch andere Bedeutung haben, weil sie in einem anderen Bedeutungskontext stehen. Dieser Bedeutungskontext ergibt sich bewusst oder unbewusst aus der gesamten Lebenserfahrung einer Person.
Nichtverstehen kann zum zweiten darin bestehen, dass die Sätze, die akustisch-grammatikalisch-syntaktisch korrekt interpretiert werden, in ihrem Bedeutungsgehalt nicht in der Weise erfasst werden, wie es der »Sender« gemeint hat. In den drei obigen Beispielen sage ich meinen jeweiligen Gesprächspartnern (dem Freund, dem Mitarbeiter, dem Sohn): »Ich will Ihnen/dir doch nur helfen und einen vernünftigen Rat geben!«. Der Satz ist in sich durchaus verständlich, aber das, was er ausdrücken will, nämlich selbstlose Hilfe, wird nicht unbedingt als solche erkannt. Im ersten Fall unterstellt mein Freund mir, dass ich seine schwierige Situation gar nicht richtig begreife oder vielleicht sogar für seine Frau Partei ergreife. Im zweiten Fall unterstellt der Mitarbeiter mir, dass ich ihn demütigen oder schikanieren will, und im dritten Fall wirft mir mein Sohn innerlich vor, dass ich zu engstirnig bin oder ihm das Erreichen seines Lebensziels nicht gönne. Meine von mir als aufrichtig empfundenen Intentionen werden nicht als solche verstanden!
Gehen wir aber noch einen Schritt weiter: Es kann sogar sein, dass meine Gesprächspartner von der Ehrlichkeit meiner Ratschläge überzeugt sind und meine Argumente akzeptieren, ihnen zustimmen, dass sie aber nicht danach handeln . Dies geschieht häufiger,
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