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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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mystische Erweckungs- und Erleuchtungserlebnisse haben in ganz unterschiedlichen Religionen häufig denselben Verlauf oder Inhalt. Typischerweise geht es um das Erscheinen einer Gestalt, umgeben von hellem Licht (Gott, Jesus, die Jungfrau Maria/Mutter Gottes, Engel oder Propheten bzw. Heilige), die dann mit sehr eindrucksvoller Stimme mehr oder weniger konkrete Botschaften verkündet und zu deren Niederschrift und Verbreitung aufruft. Auch kommt es häufiger zu Einblicken in das Paradies bzw. das Jenseits, die Hölle oder die Zukunft und zu entsprechend angenehmen oder Furcht erregenden Ereignissen. Schließlich gibt es das Stimmenhören (wie beim heiligen Augustinus das »Nimm und lies!«) oder die plötzliche Einsicht oder Berufung – man denke an die Berufung des heiligen Franziskus. In den meisten Fällen kommt es anschließend zu einem radikalen Wechsel in der Lebensführung.
    Solche Ereignisse sind, wenn sie nicht direkt hirnorganische Ursachen haben wie bei der Epilepsie, in der Regel verbunden mit einer überstandenen Lebensgefahr, schweren Krankheit oder sonstigen Lebenskrise oder Katastrophe (Krieg oder Unfall). Dasselbe geschieht im Übrigen bei einer »Gehirnwäsche«, die meist aus starker sensorischer Isolation, einer radikalen Änderung des Tagesablaufs, völliger Abhängigkeit von Dritten (wann das Essen gebracht wird, wann man schlafen und sich waschen darf), Demütigung und der ständigen Furcht vor dem Drangsaliertwerden besteht, meist verbunden mit der Aussicht auf Besserung, wenn man nur Reue und Unterwerfung zeigt. Es handelt sich in all diesen Fällen um starke emotionale Einwirkungen, welche die mittlere limbische Ebene »weich machen« und somit für tief greifende Persönlichkeitsveränderungen vorbereiten sollen.
    Menschen können sich also tief greifend ändern, aber hierbei sind immer ein starker externer Auslöser oder eine besondere affektiv-emotionale Situation nötig. Eigentlich werden sie auch hierbei eher geändert, als dass sie sich »von selbst« ändern – sie beschreiben dies nur nicht so. Zudem reagieren keineswegs alle Menschen mit langfristigen Persönlichkeitsveränderungen auf solche dramatischen Situationen. Es ist eher so, dass – wie wir in Kapitel 9 gehört haben – die Mehrzahl nach einiger Zeit zu ihrer ursprünglichen Lebenshaltung und -führung zurückkehrt. Dies stimmt überdies mit der Erfahrung in der Psychotrauma-Therapie überein, die lautet, dass ein Drittel derer, die schwer belastende Ereignisse erfahren haben (meist Katastrophen, Kriegsereignisse oder brutale Vergewaltigungen und sonstige Misshandlungen), keinerlei Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) zeigen, ein weiteres Drittel nur vorübergehende Symptome und nur ein Drittel lang anhaltende PTSD-Symptome entwickelt. Von diesen sind wiederum ein Drittel gut, ein zweites Drittel nur schwer und ein drittes Drittel nicht psychotherapeutisch erfolgreich behandelbar (vgl. dazu Sachsse und Roth, 2007).

Selbstveränderung in der Partnerbeziehung
     
    Wenn wir einmal von den geschilderten dramatischen Umbrüchen in Persönlichkeit und Lebensführung absehen, so halten sich die Möglichkeiten, das eigene Leben zu ändern, in engen Grenzen. Klar ist, dass niemand sich ändert, nur weil er sich jetzt das Kommando gibt: »Ändre dich!«. Das wird zwar von Philosophen und Dichtern beschworen, ist aber unsinnig. Wenn ich morgens noch sehr müde im Bett liege, kann ich mir ganz fest das Kommando geben: »Du stehst jetzt auf!« – aber nichts passiert. Ich stehe stattdessen dann auf, wenn meine bewussten und unbewussten Motive dies sagen und nicht bloß mein Mund und meine linke Großhirnhemisphäre, bzw. wenn es wirklich bedrohlich spät ist. Ebenso wenig wirkt die bloße Einsicht in die Notwendigkeit einer Veränderung. Diese ist meist längst da, aber es geschieht nichts – aus demselben Grund wie beim vorherigen Beispiel, denn an diese Einsicht koppeln sich keine Motive, die von der Veränderung einen beträchtlichen Vorteil erwarten. Typischerweise heißt es dann: »Ich will zwar, aber ich kann nicht!«.
    In Hinblick auf die Selbstveränderung per großer Willensanstrengung gibt es einen bemerkenswerten Grad an Selbsttäuschung. Zwar nehmen die meisten Mitmenschen in diesem Zusammenhang einen durchaus realistischen Standpunkt ein und sagen von sich, dass sie sich über die Jahre und Jahrzehnte wohl eher wenig geändert haben, aber manche glauben offenbar selbst, dass sie bei dieser oder

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