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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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trivial. Man könnte nämlich meinen, dass wir gerade in Hinblick auf uns selbst größere Macht haben als andere. Wenn andere uns sagen: »Du musst das jetzt so und so machen!«, dann können wir uns zumindest im Prinzip dem verweigern, und zwar entweder offen oder durch stumme Verweigerung. Wenn wir das zu uns selbst sagen, wie können wir uns selbst verweigern?
    Hier aber liegt gerade das Problem. Was sich in letzter Instanz dem äußeren Einfluss entgegensetzt, ist nicht mein bewusster Wille, sondern mein unbewusstes Selbst auf der unteren und mittleren limbischen Ebene. Dies ist diejenige Instanz, die sich dem Einfluss von außen fügen muss, falls es überhaupt zu Veränderungen kommen kann. Wir haben gehört, dass dies im Wesentlichen nur nichtrational und nichtverbal wirken kann, durch Glaubwürdigkeit, Vorbild und Einfühlsamkeit und über entsprechende Belohnungsstrategien. Wie aber soll dies bei und in mir selbst funktionieren? Wie soll ich mir selbst gegenüber glaubwürdig, vorbildlich und einfühlsam sein, um mein unbewusstes Selbst zu Änderungen zu bewegen (so als ob ich mein eigener Vorgesetzter wäre)? Vielmehr ist es genau umgehrt: Ich bin auf bewusster Ebene und in meinem Verhalten glaubwürdig, vorbildlich und einfühlsam, weil meine unbewussten Ebenen mich dazu gemacht haben. Entsprechend erlebe ich genau diejenigen beschränkten Einwirkungsmöglichkeiten, die seit jeher im Rahmen der bewussten Kontrolle meiner Impulse, Gefühle, Motive und Ziele bestehen.

Tiefgreifende Persönlichkeitsveränderungen
und ihre Ursachen
     
    Bevor wir diesen Gedanken weiter verfolgen, müssen wir uns noch mit einer möglichen Kritik auseinander setzen. Immerhin behaupten einige Personen, sie hätten sich aus den und den Gründen radikal verändert. Gelegentlich stellen wir fest: »Der ist ja ein ganz anderer Mensch, seit dies und dies passiert ist« (meist eine Lebenskrise, eine große berufliche Herausforderung oder eine neue Partnerschaft). Und schließlich gibt es in den Lebensgeschichten »großer« Menschen oft Sprünge in Form von großen Entschlüssen, Bekehrungen, Erleuchtungen und Erweckungserlebnissen.
    Erweckungserlebnisse und Spontanbekehrungen, so gern sie in (Auto-)Biographien dargestellt werden, sind aber mit großer Skepsis zu betrachten, denn sie befinden sich immer in der Nähe von (psycho-)pathologischen Zuständen. Oft haben sie hirnorganische Grundlagen. Viele Menschen, die Offenbarungen und Erweckungserlebnisse religiöser Art hatten, waren Epileptiker; der berühmteste unter ihnen war der Apostel Paulus, und sein Damaskus-Erlebnis, bei dem er vom Saulus zum Paulus wurde, war mit ziemlicher Sicherheit ein »Grand mal«, d. h. ein starker epileptischer Anfall mit Halluzinationen.
    Es gibt den typischen Befund einer »Temporallappen-Epilepsie«, einer epileptischen Erkrankung meist des rechtshemisphärischen Temporallappens. Störungen und Verletzungen des Temporallappens können allgemein zu tief greifenden Persönlichkeitsstörungen führen. Zu den Folgen von Beeinträchtigungen des rechten Temporallappens gehören die Ausbildung einer pedantischen Sprache, Egozentrik, das Beharren auf persönlichen Problemen im Gespräch, paranoide Züge, eine Neigung zu aggressiven Ausbrüchen und eine Überbeschäftigung mit religiösen Problemen. Menschen mit einer Temporallappenepilepsie können Erweckungs- und Erleuchtungserlebnisse haben, vom Saulus zum Paulus werden, der Welt entsagen und so weiter. Viele fromme Erzählungen innerhalb und außerhalb der heiligen Schriften des Christentums und anderer, auf Offenbarung beruhender Religionen über spirituelle Zustände heiliger Männer und Frauen ähneln stark diesen neuropsychologischen Befunden.
    Der wahrscheinliche Grund hierfür ist in der Tatsache zu suchen, dass direkt unter dem mittleren und unteren Temporallappen der Hippocampus und die ihn umgebende Rinde als Organisatoren unseres bewusstseinsfähigen Gedächtnisses sowie die Amygdala als Entstehungsort von Gefühlen und Affekten liegen. Bei Reizung oder Schädigung des mittleren und unteren Temporallappens sind diese Zentren unweigerlich mitbetroffen. Ein anderer Anlass sind starke sensorische Entzugszustände, wie sie nach langem Aufenthalt in der Wüste (man denke an Jesus in der Wüste, wie er vom Teufel versucht wird, oder an den heiligen Antonius und seinen Versuchungen ebenfalls in der Wüste) oder einem ähnlichen isolierten Ort auftreten, oder nach langem Fasten.
    Religiöse oder

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