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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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Entwicklung aufgrund der Veröffentlichung der Prognose (der »Self-fulfilling prophecy«-Effekt). Man denke nur an eine »wissenschaftlich untermauerte« Prognose während einer abwärtsgerichteten Konjunkturphase in einer Volkswirtschaft, die bereits vorhandene Konjunkturschwäche werde weiter zunehmen. Auch wenn dies von der Sache her gar nicht notwendig einzutreten braucht, kann sich eine solche Prognose allein aufgrund der pessimistischen Erwartungswirkung bei den verantwortlichen Entscheidungsträgern bewahrheiten. Anders verhält es sich mit Prognosen zur Entwicklung von Börsenkursen, da es sich hier im Prinzip um einen sich selbst zerstörenden Prozess handelt. Niemand würde mehr an der Börse spekulieren, wenn Kursentwicklungen tatsächlich exakt vorausberechenbar wären. Dasselbe gilt bekanntlich für den »todsicheren« Lottotip. Dennoch halten viele Leute an der Fiktion der Berechenbarkeit solcher Geschehnisse fest.
    Zweitens weicht das »Rational-Choice«-Modell dramatisch von der Art ab, wie Menschen wirklich Entscheidungen treffen. Menschliches Denken ist sehr begrenzt, das individuell vorliegende Wissen ebenso, hinzu kommen Beschränktheiten in der Zeit (Entscheidungen unter Zeitdruck) oder in den Rechner-Ressourcen. Menschen weichen deshalb auf Heuristiken aus, auf »Pi-mal-Daumen«-Entscheidungen, die überraschend wirksam sind, wie sich gezeigt hat. Sie nehmen dabei Ungenauigkeiten und Risiken in Kauf und begnügen sich mit suboptimalen Lösungen (das Satisficing-Prinzip), sei es aus Bequemlichkeit oder weil irgendwann mit dem Suchen und Grübeln ein Ende sein muss!
    Der Umgang mit komplexen Systemen ist – wie die Untersuchungen von Dietrich Dörner gezeigt haben – eine besondere Herausforderung an den menschlichen Verstand, und zwar auch dann, wenn eine Person eine meist unrealistische Machtfülle besitzt und die üblichen Beschränkungen an Ressourcen und Zeit keine Rolle spielen (die Dörner’schen Entscheider hatten 10 Jahre Zeit zum »Machen« – also mehr, als die meisten wirklichen Politiker oder Bürgermeister zur Verfügung haben). Auch hier geht es um die Notwendigkeit von Komplexitätsreduktion in Form eines Grundverständnisses der Systemzusammenhänge, um feine Dosierung der Eingriffe (gerade wenn alles nach einschneidenden Maßnahmen schreit) und Geduld (wenn jeder alles sofort angepackt sehen will).
    Die wichtigste Schwachstelle der Theorie des rationalen Entscheidens ist allerdings die Tatsache, dass Rationalität bei den meisten menschlichen Entscheidungsprozessen eine begrenzte Rolle spielt. Die in Kapitel 5 dargestellten Untersuchungen der holländischen Forschergruppe (Dijksterhuis et al., 2006) unterstellen, dass Rationalität in Form bewussten Nachdenkens nur für Probleme geringer Komplexität die optimale Vorgehensweise sei und dass sich bei komplexeren Problemen das »Ruhenlassen«, d. h. das vorbewusste Problemlösen, eher bewähre. Entscheidungen sind schließlich häufig von Faktoren bedingt, die überhaupt nichts mit Rationalität im üblichen Sinne zu tun haben, sondern mit Emotionen, die traditionell als der Gegner der Rationalität angesehen werden. Wie soll ich also bei Entscheidungen am besten vorgehen? Soll ich immer auf »meinen Bauch« hören?
    Seit einiger Zeit werden in deutschen Boulevard-Zeitschriften und Fernseh-Illustrierten die »Bauchentscheidungen« propagiert. »Höre auf deinen Bauch!« heißt es, »Vertraue deinen Gefühlen!«. Es werden dabei viele Beispiele zitiert, die in Richtungen gehen, die ich soeben noch einmal genannt habe, nämlich dem ersten Eindruck und der ersten Idee zu vertrauen, da längeres Nachdenken die Entscheidung nur noch schlechter mache. Man solle die »inneren Regungen bewusst registrieren«, »auf die Körpersignale achten«, der Intuition folgen usw. Auch beruft man sich auf die Empfehlung von Gerd Gigerenzer und seinen Kollegen, viele Informationen einfach zu ignorieren und simplen Entscheidungsstrategien zu vertrauen. Gleichzeitig wird man aber auch vor »zuviel Bauchgefühl« gewarnt, denn dieses sei schließlich manipulierbar, zum Beispiel durch die Werbung (»je häufiger man eine Aussage hört, desto mehr Wahrheit schreibt man ihr zu« – was übrigens richtig ist). Man solle also doch manchmal dem »kalten Verstand« trauen, eigene Entscheidungen kritisch überprüfen und daraus lernen! Was nun?
    Der Gipfel der Trivialität wird erreicht, wenn einige der von den Zeitschriften zu Rate gezogenen Psychologen

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