Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
und Türen schließen) und auf keinen Fall tun dürfen (z. B. schreiend ins Treppenhaus laufen, die Zimmertür auflassen, den Fahrstuhl benutzen). Katastrophenhelfer werden darin trainiert, hoch automatisiert die richtigen Dinge zu tun. Passiert hingegen etwas Unvorhergesehenes, dann reagieren auch sie leider häufig falsch (man denke an Tschernobyl, wo dies im entscheidenden Augenblick passierte!). Hochgradiger Stress kann also nur mit Routine-Entscheidungen bekämpft werden, aber diese sind prinzipiell situationsabhängig.
Nun muss es bei den Bauchentscheidungen nicht immer um Großkatastrophen gehen, sondern es kann sich auch um alltägliche Dinge handeln, zum Beispiel um Einkaufen, den Umgang mit den Mitmenschen oder – besonders eindrucksvoll – den Straßenverkehr. Nachteilig ist die Tatsache, dass man sich unter Zeitdruck entscheiden muss. Ich stehe im Geschäft, ich sehe auf meine Uhr, weil ein wichtiger Termin ansteht. Soll ich diese Schuhe wirklich kaufen oder doch lieber den Kauf verschieben? Oder: Ich habe es eilig und fahre auf eine Ampel zu, die auf Gelb schaltet. Soll ich Gas geben und versuchen, noch bei »tiefem Gelb« über die Kreuzung zu kommen?
Auf einer Straße durch ein Naturschutzgebiet zwischen Bremen und dem Vorort, in dem ich wohne, gibt es vor einer Brücke einen einspurigen Engpass von ca. 50 Metern, der eingerichtet wurde, um die Leute zum Langsamfahren (30 km/h) anzuhalten. Diese Straße wird leider von vielen Fahrern als Schleichweg benutzt, und so kommt es häufiger vor, dass man entscheiden muss, ob man entgegenkommenden Fahrern die Vorfahrt lässt oder selbst als Erster in den Engpass hineinfährt. Eigentlich ist die Regel ganz einfach: Wer zuerst am Engpass ankommt, der fährt als Erster durch. Allerdings ist diese Regel beim Kolonnenfahren schon etwas schwieriger zu handhaben, und meist lässt man als Wartender einen zweiten, dicht hinter dem ersten Fahrer ankommenden noch durch, obwohl man jetzt dran wäre. Ärgerlich wird die Sache, wenn drei oder vier Fahrer hintereinander schnell noch »durchzusausen« versuchen und ich deshalb länger warten muss. Meist schauen diese Fahrer beim Vorbeifahren demonstrativ weg. Am Allerärgerlichsten ist es, wenn ich langsam (mit 30 km/h) auf den Engpass zufahre und aus beträchtlicher Entfernung ein entgegenkommender Fahrer richtig Gas gibt, um noch vor mir durch den Engpass zu schlüpfen. Einmal passierte es mir, dass mir ein solcher Fahrer mit der Faust auch noch drohte. Ein andermal kam ich beim Joggen am Engpass vorbei, und mitten drin standen sich zwei Autofahrer drohend gegenüber, und keiner wollte nachgeben und zurückfahren. Leider musste ich abbiegen und konnte nicht beobachten, wie die Sache ausging (zumindest standen sie nach einer Stunde nicht mehr da!).
Was ist hieran bemerkenswert? Es ist die Tatsache, dass im Straßenverkehr oft in sehr kurzer Zeit Entscheidungen getroffen werden müssen, die zwar nicht notwendigerweise unter echtem Zeitdruck (bei welchem Termin kommt es auf Sekunden an?), aber in der Regel unter hohem emotionalem Druck stehen. In der Tat sind das Auto und das Autofahren hoch emotionale Dinge. Hier geht es nicht nur um den bloßen Transport und die Anschaffungs- und Betriebskosten, sondern um Status und Selbstgefühl, insbesondere natürlich bei Männern. Kaum etwas spiegelt den Wunsch, wie man von den anderen gesehen werden möchte, so exakt wider wie das Auto, das man fährt.
Auch das Verkehrsverhalten selbst unterliegt hoch emotionalen Bedingungen: Soll ich dem entgegenkommenden Marke-X-Fahrer den Vortritt lassen, wo ich doch die viel angesehenere Marke Y fahre? Aber auch bei vergleichbaren Autotypen stellt sich die Frage: Soll ich überhaupt jemandem den Vortritt lassen, wo ich doch im Recht bin? Dasselbe gilt für das schnellere Fahren: Ich signalisiere den anderen, die ich überhole, dass ich besser und mächtiger bin als sie. Den Vortritt zu lassen ist für viele Menschen gleichbedeutend mit Machtverlust, und den kann sich nur derjenige leisten, der über viel Macht verfügt, oder dem Macht gleichgültig ist. Diese Angst vor dem Macht- und Gesichtsverlust kann dramatisch sein, und nur so kann man erklären, warum die oben genannte Person aus größerer Entfernung Gas gab und sicher 80 km/h auf einer Strecke mit 30 km/h Geschwindigkeitsbeschränkung fuhr, nur um mir bei dem Engpass zuvorzukommen.
Ein solches Verhalten wird kaum bewusst entschieden, sondern es sind hierbei vornehmlich die
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