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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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unbewussten egoistischen Motive in uns. Zur Rede gestellt würden die betreffenden Personen gar nicht recht ihr Verhalten begründen können, und auch uns anderen geht es vor einer gelben Ampel, bei der auch wir manchmal Gas geben, genauso. Während wir noch auf der Kreuzung sind, ärgern wir uns schon über unser »reflexhaftes« Verhalten. Noch dramatischer wird es bei riskanten Überholmanövern meist jugendlicher Männer auf der Landstraße, bei denen Imponiergehabe, Geltungssucht und wohl auch der Nervenkitzel eine reale Todesgefahr für sich und andere Personen verdrängen. Das Tragische hieran ist, dass jedes Mal, wenn es »gut gegangen« ist, das riskante Fahrverhalten verstärkt wird. Das »Es ist bisher immer gut gegangen und wird auch weiter gut gehen« kann schließlich zum festen Glauben (Skinner würde sagen »Aberglauben«) werden.
    Ein weiterer problematischer Bereich spontaner Entscheidungen ist der tägliche emotional-kommunikative Umgang mit den Mitmenschen. Auch hier müssen wir in Sekundenschnelle entscheiden, wie wir uns verhalten sollen, nämlich neutral, freundlich, abweisend oder aggressiv, ob wir zuerst das Wort ergreifen oder geduldig zuhören, ob wir eine unhöfliche Bemerkung in gleicher Weise zurückgeben oder sie ignorieren, ob wir zuerst durch die Tür gehen oder dem anderen den Vortritt lassen. Hier herrscht neben der unteren limbischen Ebene die mittlere Ebene der emotionalen Konditionierung vor. Wie ich mich spontan meinen Mitmenschen gegenüber verhalte, wird neben meinem Temperament ganz wesentlich von meinem Selbstwertgefühl bestimmt, welches das Resultat meiner frühen Bindungserfahrungen und sonstiger früher psychosozialen Prägung ist, und erst in zweiter Linie wird meine Erziehung wirksam.
    Aber auch ohne Zeitdruck sind rein affektive Entscheidungen riskant, zum Beispiel beim Kaufverhalten oder bei Einstellungsgesprächen, bei denen ich der Vorgesetzte oder der Personalchef bin. Das Kaufverhalten der Menschen wird inzwischen intensiv wissenschaftlich untersucht, ohne dass die Wissenschaft hierzu schon irgendetwas anderes dazu sagen könnte, als dass es komplex ist und bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlich ausfällt. Beim Einkaufen kann man nur raten (selbstverständlich in Abhängigkeit vom Wert der zu erwerbenden Ware): Kaufe nicht unter zeitlichem oder psychologischem Druck (etwa weil der Verkäufer drängelt), misstraue dem ersten begeisterten Eindruck, denn er führt meist dazu, dass die offensichtlichen Fehler der Ware übersehen werden (es sei denn, wir kaufen das, was wir immer kaufen!). Schau dir die Sache genau an, zehn Minuten genügen meist dazu, es sei denn, es geht um eine wirklich teure Anschaffung. Es ist richtig, dass längeres Grübeln nichts bewirkt, aber die Begeisterung der ersten Sekunden oder Minuten muss man aussitzen – sie lässt in der Regel spätestens nach einer halben Stunde nach. Gute Käufer verlassen das Geschäft und kehren nach einer Stunde wieder und denken in der Zwischenzeit nicht über den Kauf nach. Wenn ihnen bei der Rückkehr immer noch die Ware zusagt, sollten sie sie kaufen.
    Im Einstellungsgespräch ist dies nicht anders, wenngleich mit einer leicht verlängerten Zeitdimension. Die größte Gefahr heißt hier »erster Eindruck«, und der größte, aber leider weit verbreitete Irrtum lautet, dass dieser erste Eindruck hinsichtlich der Eignung des Bewerbers der richtige sei. Wir erleben im Alltag wie auch bei der Personalauswahl, dass Menschen uns spontan sympathisch oder unsympathisch sind. Die Forschung zeigt, dass dieser erste Sympathie-Antipathie-Eindruck in ca. 70 Prozent der Fälle Bestand hat, d. h. wir werden in sieben von zehn Fällen auch noch nach einem Jahr diese bestimmte Person sympathisch oder unsympathisch finden.
    Der Grund für diese hohe Verlässlichkeit des ersten Eindrucks liegt darin, dass Gefühle der Sympathie und Antipathie durch sehr einfache Merkmale der Mimik (z. B. Augenbrauen-, Stirnmuskel- und Mundwinkelstellung), der Gestik, des Blickkontakts, der Körperhaltung, des Körpergeruchs und des emotionalen Gehalts der Sprache (der Stimmlage, des Tonfalls und der Verwendung bestimmter emotionaler »Reizwörter«) bestimmt werden. Diese Merkmale werden schnell und überwiegend unbewusst von Zentren der Großhirnrinde und des subcorticalen limbischen Systems, insbesondere der Amygdala registriert, und entsprechend reagieren wir relativ stereotyp und ebenso überwiegend unbewusst. So kann uns ein

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