Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
soeben gesagt habe, die Antwort eindeutig »nein!«. Im Fall des Einstellungsgespräches wäre es töricht, die Rationalität außen vorzulassen. Es ist gerade die Rationalität, die mich vor der Gefahr des »ersten Eindrucks« warnt, mich zum nochmaligen Studium der Bewerbungsunterlagen und zu weiteren Diskussionen mit Kollegen ermahnt. Sie lässt mich zum Telefonhörer greifen, um den früheren Arbeitgeber des Bewerbers anzurufen, und sie veranlasst mich insbesondere, die in die engste Wahl gelangten Bewerber noch einmal einzuladen und um die Unterstützung durch Psychologen nachzusuchen. Ebenso unsinnig wäre es, sich vor dem Kauf eines Autos oder gar eines Hauses nicht genau zu informieren, und all dies gilt natürlich für Entscheidungen von »staatstragender Bedeutung«. Hier geht es um tage-, wochen- und monatelange Beratungen, ehe eine Entscheidung getroffen wird.
Wie lange soll man hier nachdenken und beraten? Diesbezüglich werden zur Zeit in der interessierten Öffentlichkeit schnelle Entscheidungen gefordert, monatelanges politisches »Gezerre« wird intensiv kritisiert (man denke an die Gesundheitsreform). Überdies werden immer wieder Befunde von Psychologen zitiert, die angeblich nachweisen, dass schnelle Entscheidungen mindestens ebenso gut sind wie lang sich hinziehende Entscheidungen – oder gar besser sind als sie (vgl. Kapitel 5). Auch hier wird empfohlen: Höre auf deinen Bauch!
Nun kann man das der Gesundheitsministerin oder gar der Kanzlerin schlecht sagen, denn es geht im Zweifelsfall gar nicht nur um deren Bäuche, sondern um diejenigen vieler anderer am Entscheidungsprozess Beteiligter. Gerade bei widerstreitenden Interessen benötigt das Herausfinden, was die verschiedenen Seiten eigentlich wollen (und nicht nur vorgeben zu wollen), viel Zeit, und noch mehr Zeit benötigen die Konfliktparteien, bis sie bereit sind, über den eigenen Schatten zu springen. Wichtig ist aber auch die Tatsache, dass in einem schnellen Entscheidungsprozess – sei er individuell oder politisch – oft wichtige entscheidungsrelevante Dinge einfach übersehen werden, gerade weil die »Bäuche« zu stark beteiligt waren (etwa der politische Druck, schnell zu einer Entscheidung zu kommen!), zum Beispiel schlichte Fragen wie die Finanzierbarkeit, die Frage der Verfassungskonformität oder der langfristigen Folgen für Gesellschaft und Umwelt.
Aus dem Munde von Gigerenzer und Kollegen haben wir gehört, dass man in vielen Fällen durch einfache Heuristiken weiterkommt. Die einfachste Heuristik lautet natürlich: Entscheide so, dass du möglichst lange mit der Entscheidung zufrieden bist. Das ist so zutreffend wie nichtssagend, denn es lässt die eigentliche Frage, wie ich mich entscheiden soll, unbeantwortet. Dasselbe gilt für das bekannte »utilitaristische« Prinzip, nach der die beste gesellschaftlich-politische Entscheidung diejenige ist, bei der die größte Zahl der Menschen maximal glücklich wird. Schließlich behauptet jede politische Partei, dass genau ihr Programm dies leiste.
Die von Gigerenzer und seinen Kollegen genannten Heuristiken gelten, wenn man es kritisch sieht, meist nur für Situationen, die nicht von großer individueller oder gesellschaftlicher Tragweite sind. Die Gesundheitsreform, die wieder aufgeflammte Debatte um die Kernenergie, die Frage der zusätzlichen Erweiterung der Europäischen Union, aber auch ein Hauskauf oder die Frage, ob ich den Ruf nach Berlin annehme, können nicht mit einfachen Heuristiken entschieden werden. Keine Heuristik kann die langfristigen Folgen komplexer Entscheidungen bestimmen, aber aufwändige Modellrechnungen können dies. Zumindest können sie sagen: Wir wissen nicht, ob und wie man die globale Klimakatastrophe noch aufhalten kann, aber wir wissen, dass ein So-Weitermachen wie bisher mit großer Sicherheit in die Katastrophe einmünden wird.
Wenn man hier von Heuristik sprechen will, so heißt sie: Entscheide dich gegen die Alternative, die im Falle des Scheiterns die schlimmsten Folgen hat. Das bedeutet oft, nicht die im positiven Sinne günstigste Alternative zu wählen, sondern eine, die im Falle des Scheiterns weniger katastrophal ist. Aber: Welches die schlimmsten Folgen sind, und wie man sie vermeidet, kann man nicht wieder durch einfache Heuristiken herausbekommen.
In die Nähe einer brauchbaren Heuristik großer Entscheidungen gelangt man durch die Annahme, dass die allermeisten Prozesse, auch die sehr komplizierten, durch maximal drei
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