Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
Alter von 21 Jahren über ihre im letzten Jahr verübten Straftaten befragt. Es zeigte sich, dass von den Straftaten, die insgesamt begangen wurden, die Hälfte auf das Konto von lediglich 41 jungen Männern ging, die acht Prozent der Befragten ausmachten. Bei den Mädchen war dies nicht anders: Sechs Prozent waren für die Hälfte der Straftaten verantwortlich. Allerdings zeigte sich auch hier, dass junge Männer weitaus häufiger kriminell werden als Mädchen und junge Frauen, und zwar im Durchschnitt in einem Verhältnis von zehn zu eins, bei schweren Gewaltverbrechen bis zu hundert zu eins.
Insgesamt zeigt sich in der Dunedin-Studie folgendes Bild: Ein gewisses gewalttätiges Verhalten und Kleinkriminalität zeigen sich gehäuft im Jugendalter von 15 Jahren und überwiegend bei Jungen und klingen zum 18. Lebensjahr hin wieder deutlich ab. Dies ist ganz offenbar ein mehr oder weniger natürlicher Entwicklungsgang, der sich überall auf der Welt findet – in den einen Kulturen mehr (»Macho-Kulturen«), in den anderen weniger. Davon deutlich unterschieden ist eine kleine Gruppe (ca. 5 %) überwiegend männlicher Jugendlicher, die bereits in früher Kindheit, zum Beispiel im Kindergarten, als Prügler oder sonstige Störenfriede auffallen und darin lebenslang fortfahren. Sie begehen den Großteil aller Straftaten, widerstehen in aller Regel den üblichen Erziehungs- und Besserungsmaßnahmen (Heime, Gefängnis, Therapie) und bilden die Gruppe der chronisch Kriminellen.
Natürlich ist es für die Gesellschaft sehr wichtig herauszufinden, welches die Ursachen für solch unbelehrbares Verhalten sind. In der Dunedin-Studie zeigte sich, dass nur wenige Faktoren für das kriminelle Verhalten dieser Kerngruppe hauptsächlich verantwortlich sind. Hierzu gehören Kriminalität der Eltern, Armut, überstrenge oder inkonsequente Erziehung, ein schwieriges Temperament und Hyperaktivität, frühzeitiger »schlechter«, d. h. krimineller Umgang und kognitiv-neurologische Störungen. In den vergangenen Jahren haben viele weitere Untersuchungen, die wir in der »Delmenhorster Gewaltstudie« zusammengetragen haben (Lück, Strüber und Roth, 2005), diese Befunde bestärkt. Dabei zeigte sich, dass Angehörige der gewalttätigen Kerngruppe in der Regel eine gewisse genetische Vorbelastung ( Prädisposition ) in Richtung auf eine leichte Erregbarkeit, mangelnde Impulshemmung, niedrige Frustrationsschwelle und Trotzverhalten aufweisen, die vor allem mit einem niedrigen Spiegel des Neuromodulators Serotonin zusammenhängen. Von Serotonin haben wir bereits gehört, dass es psychisch beruhigend wirkt; ein Mangel an Serotonin ruft das Gefühl des Bedrohtseins und – zumindest bei Männern – reaktive Aggression hervor. Ein niedriger Serotoninspiegel führt zu einer niedrigen Frustrationstoleranz, zum ständigen Gefühl der Beunruhigung und einer leichten Erregbarkeit. Hinzu kommen typische kognitiv-emotionale Defizite wie die Unfähigkeit, das Verhalten anderer richtig zu deuten, was oft dazu führt, dass neutrale oder gar positive Gesichtsausdrücke und Gesten der Mitmenschen als bedrohend fehlinterpretiert werden und man zuschlägt, »weil man sich ja wehren musste!«.
Diese neurobiologischen Defizite sind aber nicht die alleinigen Verursacher von Kriminalität, sondern fast immer finden sich auch deutliche Defizite in der frühkindlichen Bindungserfahrung. Von den damit verbundenen Risiken haben wir im ersten Kapitel gehört. Es zeigt sich, dass die Mehrzahl der späteren Kriminellen hoch unsicher gebundene Kleinkinder waren. Dieses Defizit wird in vielen Fällen weiter verstärkt durch eine problematische familiäre Situation und ungünstige ökonomische Bedingungen wie Armut und Arbeitslosigkeit des Vaters bzw. der Eltern und – besonders wichtig – durch eine frühe Erfahrung von Gewalt in der engeren oder weiteren Familie und im Freundeskreis.
All dies bekräftigt die Auffassung, dass sich eine kriminelle Persönlichkeit, zumindest im Bereich gewalttätigen Verhaltens, aufgrund einer Kombination von genetischen und hirnentwicklungsmäßigen Faktoren, frühen negativen psychischen Erlebnissen und negativen sozio-ökonomischen Bedingungen bereits früh ausbildet und stabilisiert. Es sind also in der Regel weder allein die Gene bzw. die Hirnentwicklung, noch allein die frühe Mutter-Kind-Beziehung oder die sozio-ökonomischen Bedingungen, die eine Person normal oder kriminell machen, sondern bestimmend ist das Zusammenwirken
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