Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
Menschen den Eindruck: »Der war schon als kleines Kind so!«. Solche Einschätzungen haben jeweils ihren wahren Kern, aber da sie sich (scheinbar?) widersprechen, können sie nicht verallgemeinerbar sein.
Lebensläufe – wissenschaftlich untersucht
Die Frage der Veränderbarkeit der Persönlichkeit wissenschaftlich zu untersuchen ist ziemlich schwer und aufwändig. Nicht nur muss man sich darauf einigen, welche Persönlichkeitsmerkmale man messen will, sondern man muss dies bei einer großen Zahl von Versuchspersonen tun und sehr früh beginnen, am besten bereits unmittelbar nach der Geburt und über Jahrzehnte hinweg. Das bedeutet natürlich einen Riesenaufwand; auch haben solche Untersuchungen mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass Teilnehmer aus den verschiedensten Gründen aus der Untersuchung herausfallen, und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es nur wenige solcher Untersuchungen gibt. Dabei interessiert man sich nicht nur für die Stabilität oder Veränderbarkeit normaler Menschen, sondern insbesondere auch für Personen mit »abweichendem« Verhalten, vor allem für solche, die eine Neigung zu Gewalt oder anderer Schwerkriminalität haben. Hier stellt sich die Frage, woher diese Neigung kommt, aber auch die Frage, wie es mit solchen Personen in Zukunft weitergeht.
Wenn Persönlichkeit als ein zeitlich überdauerndes Muster an bestimmten Merkmalen (z. B. den »big five«; vgl. S. 17 – 19) verstanden wird, dann ist per definitionem zu erwarten, dass Persönlichkeitsmerkmale in der Regel relativ stabil sind. Allerdings gilt, dass unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale durchaus unterschiedliche Stabilität aufweisen, wobei sich aber mehr oder weniger alle Merkmale im Laufe der Kindheit relativ schnell stabilisieren, während der Pubertät noch einmal instabiler werden und sich dann wieder verfestigen.
Alle einschlägigen Untersuchungen zeigen, dass von allen Persönlichkeitsmerkmalen Intelligenz die größte Stabilität aufweist. Die Vorhersagbarkeit des Intelligenzquotienten nimmt, wie erwähnt, mit fortschreitendem Kindesalter generell zu, die Intelligenz »stabilisiert« sich also (vgl. Kapitel 1). Andere Persönlichkeitsmerkmale sind weniger stabil. So liegt nach Asendorpf die Korrelation von zwei Messungen der Merkmale Neurotizismus und Extraversion in einem Abstand von 45 Jahren bei 0,3, was immer noch deutlich über dem Zufallsniveau ist. Aggressivität hat hingegen eine deutlich höhere Stabilität mit einer Korrelation von 0,46 über 22 Jahre. Auf die Gründe hierfür werde ich im folgenden genauer eingehen.
Wie eine gewalttätige Persönlichkeit entsteht
Was die Entstehung gewalttätigen und antisozialen Verhaltens betrifft, so ist die im neuseeländischen Dunedin durchgeführte Langzeitstudie des Forscherehepaars Anne Moffit und Avshalom Caspi, die »Dunedin Longitudinal Study«, besonders aufschlussreich. (Moffitt, Caspi et al., 2001). In dieser Langzeitstudie wurden 1037 Kinder (52 Prozent Jungen, 48 Prozent Mädchen) des Jahrgangs 1972/73 aus den verschiedensten sozialen Verhältnissen zwischen ihrem 3. und 21. Lebensjahr begleitet. Die Dunedin-Langzeitstudie stellt die bisher umfassendste Datensammlung zur Analyse der altersbedingten Veränderungen antisozialen Verhaltens dar und geht speziell auch auf die geschlechtsspezifische Entstehungsgeschichte ein. Diese Studie bestätigt das, was Kriminalstatistiken seit langem – wenngleich nicht wissenschaftlich belegt – aufweisen, dass nämlich »antisoziales«, gegen Strafgesetze verstoßendes Verhalten gehäuft bei männlichen Jugendlichen auftritt: Jungen und junge Männer im Alter zwischen 13 und 21 Jahren sind für den Großteil aller registrierten antisozialen Verhaltensformen verantwortlich. Dabei ist der Geschlechtsunterschied bei Gewaltvergehen am deutlichsten, gefolgt von Diebstahl. Der geringste Unterschied zwischen den Geschlechtern findet sich im Zusammenhang mit Drogen- und Alkoholkonsum.
Die Dunedin-Studie belegt auch einen weiteren wichtigen Umstand: Die meisten Jugendlichen, auch die Mädchen, begehen irgendwann einmal kleine Straftaten wie Ladendiebstähle oder Schwarzfahren, aber dieser Hang zur Kleinkriminalität verliert sich bei den meisten von ihnen zum Erwachsenenalter hin. Hingegen wird der größte Teil der Straftaten, insbesondere der schweren Delikte, von einer kleinen Gruppe von Jungen, aber auch von Mädchen begangen. In der Dunedin-Studie wurden alle männlichen Teilnehmer mit einem
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