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Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten

Titel: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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anhängen.
    So werden die Ergebnisse der Zwillingsforschung, die bereits damals relativ solide und bis heute weiter bestätigte Aussagen zugunsten eines relativ hohen genetischen Anteils und der starken Entwicklungskonstanz von Intelligenz und Begabung machten, in teilweise abenteuerlicher Weise abgewertet. Eine ungünstige Entwicklung der schulischen Leistungen ist danach neben ungünstigen gesellschaftlichen Bedingungen (Zugehörigkeit zu »unterprivilegierten« Gesellschaftsschichten) vor allem das Ergebnis negativer »Lernerfahrung«. Für Heinrich Roth stand fest, dass alles weiterführende Lernen nachweisbar stärker von vorausgegangenem Lernen, vor allem von der Qualität dieser Lernerfahrung, abhängig ist als von »Anlage und Reife«. Dies bürdet zum einen den Lehrern und dem gesamten Bildungssystem eine große Verantwortung auf, zugleich gibt es Anlass zu Optimismus, denn der Erfolg wird sich mit Sicherheit einstellen, wenn man die jungen Menschen »in der richtigen Weise« erzieht. Die Existenz von Reifephasen, die man insbesondere in der frühen Jugend abwarten müsse, wird schlicht geleugnet oder doch zu Trivialitäten herunterargumentiert.
    Der Bildungsoptimismus , der in den folgenden zweieinhalb Jahrzehnten das Geistesleben in Deutschland nachhaltig beeinflussen sollte, ist hier in seinen behavioristischen Wurzeln mit Händen zu greifen, ebenso der extreme Anti-Biologismus . Dabei vertraten einige Autoren des Bandes »Begabung und Lernen« wie der seinerzeit bekannte Psychologe Heckhausen ein differenziertes Bild, das dem modernen Anlage-Umwelt-Konzept bereits sehr nahe kommt. Ein solches differenziertes Bild war aber sozialpolitisch unerwünscht – und ist es auch heute vielerorts noch. Es ist bezeichnend, dass man damals von Seiten staatlicher Aufsichtsämter jungen Biologielehrern den Gebrauch des Begriffs »angeboren« im Unterricht schlicht verbot. Ebenso galt es bis vor kurzem im sozialwissenschaftlichen Umfeld als »politisch inkorrekt«, die Frage nach biologischen Unterschieden im Verhalten von Jungen und Mädchen bzw. Mann und Frau auch nur zu diskutieren, und dasselbe galt für die Existenz von »Hochbegabungen«.
    Es ist nicht ganz falsch, hier von einem seinerzeit politisch sehr erwünschten sozialwissenschaftlichen Meinungsterror zu sprechen, der zum Glück in jüngster Zeit einer zunehmenden Offenheit für Erkenntnisse der Neurowissenschaften und der experimentell-empirischen Psychologie weicht. Unglücklicherweise ist aber dadurch der grundlegende Veränderungsoptimismus nicht beseitigt, sondern dieser beherrscht mehr denn je die in unserem Land und anderswo grundlegenden Konzepte von Erziehung und Bildung. Ohne jegliche wissenschaftliche Begründung wird davon ausgegangen, dass Menschen ein Leben lang in ihren Persönlichkeitsmerkmalen formbar sind, neues Wissen erwerben und neue Fertigkeiten erlernen können. Im Zuge der Rationalisierung und Globalisierung unserer Gesellschaft werden mehr denn je Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bis ins hohe Alter hinein verlangt – auch als Fünfzigjähriger soll man noch bereit und in der Lage sein, sich »umschulen« zu lassen.
     

KAPITEL 9
     
Persönlichkeit, Stabilität und Veränderbarkeit
     
     
    Wenn wir über die Veränderbarkeit des Menschen reden, so meinen wir zum einen die Veränderungen, die Menschen »aus sich heraus« zeigen, und zum anderen die Möglichkeiten und Grenzen der Veränderbarkeit durch andere Personen oder äußere Ereignisse. Beide Bereiche sind nicht identisch, hängen aber miteinander zusammen. Im ersten Fall sagen wir, wenn wir einen Bekannten nach Jahren wiedersehen: »Der hat sich ja gar nicht verändert!«, oder wir sagen das Gegenteil: »Den erkenne ich gar nicht wieder«, und wir meinen damit nicht nur das Aussehen, sondern auch seine Persönlichkeit.
    Dass sich Menschen kurzfristig verändern können, daran besteht kein Zweifel. Ein schwerer Schicksalsschlag, plötzliche Arbeitslosigkeit, plötzlicher Reichtum oder ein unerwartetes einflussreiches Amt können dies bewirken. Aber verändern solche Ereignisse die Betroffenen auch langfristig? Dazu gibt es höchst unterschiedliche Antworten. Mein Großvater mütterlicherseits pflegte zu sagen: »Gott schütze uns vor plötzlichem Reichtum! Vor plötzlicher Armut können wir uns selber schützen!« Er meinte damit den korrumpierenden Einfluss unerwarteten Wohlstandes, der ebenso gefährlich ist wie plötzliche Macht. Andererseits haben wir bei vielen

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