Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
früher, und der über Sechzigjährige muss sich beim Anhören eines Vortrags mit neuen Inhalten schon ganz schön anstrengen. Natürlich hat dies auch mit der abnehmenden Leistungsfähigkeit der Sinnesorgane zu tun, insbesondere im Bereich des Hörens, wo die Verarbeitung von Lauten in Frequenzbereichen, die für die menschliche Sprache wichtig sind, einbrechen kann und unser kognitives System sich besonders anstrengen muss, um herauszubekommen, was gerade gesagt wurde. Nichtsdestoweniger sinkt die Verarbeitungsgeschwindigkeit der assoziativen Netzwerke in unserer Großhirnrinde aufgrund natürlichen Alterns ab 50 Jahren dramatisch ab.
Unsere neurobiologische Natur hat sich zum Ausgleich dieser betrüblichen Tatsache offenbar etwas Besonderes einfallen lassen. Während nämlich bei jungen Leuten das verbale Arbeitsgedächtnis überwiegend linkshemisphärisch und das räumliche Gedächtnis überwiegend rechtshemisphärisch angesiedelt sind, findet man bei älteren Leuten, dass sie für beide Funktionen, also auch für die Sprache, eher beide Hemisphären benutzen und die nachlassenden Funktionen hierdurch kompensieren. Ein ähnliches Phänomen findet man im Übrigen bei Defekten in all den Hirnfunktionen, die normalerweise nur oder vorwiegend in einer Hemisphäre der Großhirnrinde angesiedelt sind. Hier bildet sich auf der anderen Seite an entsprechenden Stellen ein Ersatz-Netzwerk aus, wodurch der Defekt zumindest teilweise ausgeglichen wird. Zum anderen lässt sich die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses in gewissen Grenzen durch Übung und den Gebrauch von Gedächtnishilfen (»Eselsbrücken«) verbessern, diese Tricks kann man auch noch als älterer Mensch lernen – und sollte dies unbedingt tun! Und schließlich wird, wie schon erwähnt, häufig das abnehmende Arbeitsgedächtnis durch Expertenwissen kompensiert, d. h. man kann nicht mehr so schnell denken, aber man weiß mehr!
Das Wichtigste im Bereich des kognitiv-intellektuellen Lernens und Gedächtnisses ist, wie alle einschlägigen Untersuchungen zeigen, das ausdauernde Training, und darin ähnelt das kognitive Lernen dem motorischen Lernen und Gedächtnis. Wer jeden Tag intellektuell anspruchsvolle Dinge tut, gleichgültig ob beruflich oder aus Spaß (am besten in Kombination), der hat eine gute Chance, noch bis ins hohe Alter hinein geistig leistungsfähig zu sein. Dabei gilt das Gesetz: Je anstrengender die geistige Tätigkeit, desto besser – außer sie artet in Stress aus.
Ungünstig sieht es hingegen beim emotionalen Lernen aus. Dieses Lernen setzt sehr früh ein, nämlich bereits vorgeburtlich, und erlebt seinen Höhepunkt in den ersten Lebensjahren nach der Geburt. Hierbei bilden sich Charakter und Persönlichkeit in ihrem Kern aus. Während der ersten Schulzeit stabilisiert sich diese Persönlichkeit zunehmend, gerät aber während der Pubertät noch einmal in Aufruhr und verfestigt sich zum Erwachsenenalter hin. Wir sind in der Ausbildung unserer Persönlichkeit nie fertig, aber die Dynamik dieses Prozesses nimmt zum Erwachsenenalter hin stark ab. Es ist sogar so, dass das Erwachsenwerden ganz typisch mit dieser Stabilisierung der Persönlichkeit verbunden ist – man sagt, dass eine Person endlich »zu sich gefunden hat«.
Das Fazit lautet also: Der Mensch ist auch als Erwachsener noch in seinem motorischen Bereich sehr gut veränderbar, in seinen kognitiv-intellektuellen Fähigkeiten erlebt er aber schon als Fünfzigjähriger zunehmend seine Grenzen, und im Bereich der Emotionalität und der Persönlichkeit nimmt das Ausmaß der Veränderbarkeit sehr schnell ab, so dass Erwachsene nur noch in geringem Maße in ihrer Persönlichkeit veränderbar sind. Damit ergibt sich natürlich die Frage, warum dies so ist – und die andere Frage, ob man dies als schicksalhaft hinnehmen muss oder was man dennoch tun kann, wenn man andere ändern will oder muss. Damit werden wir uns in den nächsten Kapiteln befassen.
KAPITEL 10
Veränderbarkeit des Verhaltens
aus Sicht der Lernpsychologie
Im voraufgegangenen Kapitel haben wir gelernt, dass Menschen mehrheitlich in ihrer Kindheit und Jugend entweder eine positive, eine neutrale oder eine negative Lebenshaltung ausbilden und diese auch beibehalten, egal was an aufregenden Dingen in ihrem Leben passiert. Nur eine Minderheit weist in ihrer Lebenshaltung und ihrem Lebensgefühl deutliche Veränderungen auf. Bei der Ausbildung einer Lebenshaltung wirken genetische Dispositionen,
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