möglicherweise interessant, aber da Schwarz sich seiner begrenzten Kenntnisse im I T-Bereich bewusst war, verfolgte er sie fürs Erste nicht weiter. Stattdessen blätterte er in dem Kalender zurück. Plötzlich stutzte er. Im letzten Quartal 2007 hatte Thomas Engler beinahe so vieleTermine eingetragen wie im gesamten übrigen Jahr. Neben den üblichen Meetings, PKs und HGGs tauchte immer wieder der Name Kurella auf.
Wer war dieser Mann? Im Internet fand Schwarz nur Hinweise auf einen deutschen Schriftsteller, der sich in der Sowjetunion und DDR durch die rücksichtslose Verfolgung politisch Andersdenkender hervorgetan hatte, sowie auf dessen Vater, der sich als Psychiater vor allem für die Rassentheorie interessiert hatte. Beide waren so unsympathisch wie tot.
Schwarz trank noch einen Schluck, obwohl ihm das Bier morgens um halb fünf wirklich überhaupt nicht schmeckte.
»Oktober, November, Dezember 2007«, murmelte er. »Wa rum wird Thomas Engler in dieser Zeit plötzlich geradezu hyperaktiv?«
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz: der Lokführerstreik!
Schwarz erinnerte sich an die Fernsehbilder leerer Bahnsteige, frierender Fahrgäste und sich rechtfertigender Lokführer sowie an die hitzigen Diskussionen zwischen Politikern, Gewerkschaftern und Bahnvorständen in den Talkshows.
Seine Mutter warf sich im Bett herum. Träumte sie? Nein, wahrscheinlich übertrug sich nur seine wachsende Anspannung auf sie.
Er klickte die Datei an, in der Thomas Engler seine gesamte Korrespondenz ablegt hatte, und gab in die Suchleiste den Namen Kurella ein. Unter der Adresse
[email protected]waren Dutzende Mails abgelegt.
›Inforzz‹, dachte Schwarz, ist das nicht das Meinungsforschungsinstitut? Was hatte Thomas Engler denn damit zu tun?
Er öffnete die erste Mail. Kurella bat höflich um eine Gelegenheit, der Pressestelle der Bahn die Arbeit seines Instituts vorzustellen. Zehn Tage später hatte der Termin offenbar stattgefunden, denn Engler bedankte sich herzlich für dasgute Gespräch und regte einen Meinungsaustausch unter vier Augen an. Dieser fand offenbar noch am selben Abend statt. Danach änderte der Stil der Korrespondenz sich auffällig. Die Partner duzten sich und vereinbarten für ihre häufigen Treffen von nun an offenbar Orte, wo die Gefahr, von Bekannten gesehen zu werden, gering war.
»Morgen 21 Uhr, Manzostüberl«, las Schwarz kopfschüttelnd. Der Stehausschank belegte in seiner privaten Liste der trostlosesten Münchner Kneipen einen der Spitzenplätze. Um was es bei diesen konspirativen Gesprächen gegangen war, verrieten die Mails allerdings nicht.
Schwarz überlegte. Er verließ ›Outlook‹ und durchsuchte den US B-Stick nach Dateien von ›Inforzz‹. Erst fand er nichts und wollte schon aufgeben, da stieß er unter dem Ordner ›Meinungsumfrage.doc‹ auf eine Reihe einfacher Word-Dokumente.
Das erste stammte vom 12. Oktober 2007 und hielt Reaktionen auf den ganztägigen Streik der Lokführer fest. Bahnkunden schilderten die Unannehmlichkeiten, die sie durch ausfallende Züge erlitten hatten. Unter dem Text stand die Anmerkung: »Herausarbeiten, dass der Streik die Falschen trifft, die Pendler nämlich, die auf die Bahn angewiesen sind und große Angst vor Jobverlust haben, wenn sie nicht zur Arbeit kommen«.
Irritiert öffnete Schwarz den nächsten Text. Er war am 25. Oktober geschrieben und fasste die Ergebnisse einer Umfrage zusammen, nach der knapp die Hälfte der Bevölkerung das Vorgehen der streikenden Lokführer als unverhältnismäßig empfand. Wieder endete der Text mit einem Hinweis zur Überarbeitung. »Zahlen anpassen! 60 % sagen, der Streik muss sofort beendet werden. Außerdem Stimmen zum wirtschaftlichen Schaden kreieren. Reale Zahlen dabei mit Faktor 5 multiplizieren.«
Schwarz glaubte seinen Augen nicht zu trauen. War es vorstellbar, dass Thomas Engler mit Kurellas Hilfe Meinungsumfragen des renommierten Inforzz-Instituts nicht nur gefälscht, sondern sogar dreist erfunden hatte? Und hatten viele Zeitungsartikel und Fernsehberichte während des Bahnstreiks sich möglicherweise auf diese gefälschten Daten berufen?
Ab dem 8. November 2007 verging kein Tag mehr ohne Stimmungsberichte oder Umfragen von der Streikfront. Sie wurden immer dramatischer, wie allein die Überschriften zeigten: »90 % der Deutschen lehnen Lokführerstreik kategorisch ab. – Lokführer von wütenden Fahrgästen angegriffen und verletzt. – Wann stoppt die Regierung die