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Perth

Perth

Titel: Perth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Martin
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selten so glücklich gewesen wie bei dieser Arbeit. Der Geruch der alten bedruckten Seiten, die Beschaffenheit des Papiers, die Handschrift berühmter Autoren, all das inspirierte mich. Häufig hatte ich Papiere in der Hand, die von John Milton, Alexander Pope, Jonathan Swift, James Boswell, Dr. Samuel Johnson und anderen aus dem Gestirn der englischen Literatur berührt worden waren. Hin und wieder nahm ich einen Zug zur Oxford University und saß dort in der so genannten Duke Humfrey’s Library, einem reich verzierten Saal, der über fünfhundert Jahre alt ist. Spätabends erleuchtete nur eine einzige Lampe an meinem Tisch meine Welt. Ich stellte mir vor, dass ich mich im Mittelalter befand. Ich war im siebten Himmel, und Florida schien sehr weit weg.
    An den Wochenenden empfing uns meine Patentante und Schwester meines Vaters, Tante Kath , immer sehr herzlich in » Crossways «, ihrem wunderschönen großen Haus außerhalb von London, das im neunzehnten Jahrhundert erbaut worden war. Ihre magischen Gärten waren bereits in einigen Zeitschriften vorgestellt worden. Sie führte ihren Haushalt mit einer Eleganz und Liebe zum Detail, die spüren ließen, dass sie das Leben genoss. Jeden Sonntagmorgen fuhren wir mit dem Zug zum Mittagessen zu ihr. Wir bekamen das beste Roastbeef auf dem ganzen Planeten und trafen häufig einen meiner im Ausland lebenden Onkel aus Argentinien oder Uruguay, die den Sommer ebenfalls »zu Hause« in England verbrachten.
    Tante Kath war die Einzige von den sechs Geschwistern meines Vaters, die nach dem Ersten Weltkrieg in England geblieben war. Sie waren in London aufgewachsen. Ihr Vater war wohlhabender Metzger und ein Alderman , ein Ratsherr. Die anderen Geschwister zog es fort, da sie dachten, das Gelobte Land liege irgendwo auf der anderen Seite des Meeres. Die älteste Schwester ging nach Italien und Frankreich, aber der Rest machte sich in den frühen zwanziger Jahren auf nach Buenos Aires. Im Handumdrehen verdienten meine Onkel in Argentinien ein Vermögen. Mein Onkel Harry, der Älteste, investierte sein Geld in 150 000 Morgen des besten Weidelandes in ganz Argentinien, züchtete Bullen, die regelmäßig Preise gewannen, und baute ein riesiges Herrenhaus außerhalb von Buenos Aires, das des Großen Gatsbys würdig gewesen wäre. Eine seiner klügsten Entscheidungen war, die Erfindung des Kugelschreibers von einem Ungarn namens Biro zu sponsern. Dadurch verdiente er erneut ein Vermögen. Mein Vater, der den anderen in den späten zwanziger Jahren nach Argentinien gefolgt war, hatte ebenfalls Erfolg, machte aber kein Vermögen. Ich wurde dort über zehn Jahre später geboren, ging zur besten britischen Schule und verbrachte meine Sommerferien in der Nähe eines Strandes in Uruguay. Ich lebte eigentlich nicht wirklich in Südamerika, sondern vielmehr in einer britischen Welt innerhalb Südamerikas. Meine Kindheit bestand aus Rugby, Cricket , Polo spielen, der englischen Teatime , englischen Rasen und Gärten, Flanellshorts und Schulkrawatten. Die schlechteste Entscheidung, die mein Vater jemals traf, nachdem er sich mit Onkel Harry gestritten hatte, war, in die Vereinigten Staaten zu übersiedeln und mich aus dieser goldenen Kindheit herauszureißen, als ich zehn Jahre alt war. Dort wurde ich von einer amerikanischen Welt eingefangen, die aus Baseball und hässlichen, schweren Fahrrädern bestand und die ich nie ganz verstanden habe. Ich wuchs in einer etwas rauen Umgebung auf und verlor allmählich mein früheres Benehmen, meinen englischen Akzent, die Verbindung zu meinen Onkeln und Tanten sowie die meisten meiner Erinnerungen. Nur ein Schwarzweiß-Fotoalbum in einem Queen-Anne-Tisch in unserem schönen, aber unauffälligen Haus außerhalb Chicagos erinnerte mich an mein ausgelöschtes Leben. Wie alle Immigranten wurde ich schnell von dem amerikanischen Leben und der Kultur vereinnahmt und absorbiert. Ich wurde neu erfunden, mit Jeans, Cowboypistolen, Basketball und Baseball und all den anderen kulturellen Gleichmachern, mit denen Amerika Amerikaner erzeugt.
    Amerika ließ mir allerdings eine gute Ausbildung angedeihen, daher traute ich es mir zu, einen Doktortitel zu erwerben. Wichtiger als der Titel war für mich die englische Literatur, das Gebiet, dem ich mein Leben widmen wollte. Durch die Literatur wurde England für mich so greifbar, dass ich erneut in das britische Leben hineingeboren wurde. In meiner Vorstellung konnte ich dort leben. Als Cindy und ich zum ersten Mal nach

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