Perth
großen See inmitten von Bäumen auszukundschaften. Wir fuhren zu dritt für eine Stunde mit einem Kanu auf den See hinaus und wanderten dann in ein baumloses Tal voller Wildblumen.
Cindy sprudelte über vor Freude. »Sie wird es hier lieben! Warum vergessen wir eigentlich nicht einfach unsere Reise nach England und bleiben selbst als Campbetreuer hier? Dieses Paradies ist wie für uns gemacht. Wir würden eine wunderbare Zeit hier verbringen .«
»Du willst England gegen Vermont tauschen? Das ist doch nicht dein Ernst !« Ich musste unbedingt meine Forschungsarbeit in England abschließen, aber vor allem war ich in England verliebt. Mein Vater war dort geboren, meine geliebte Tante wohnte noch dort, und ich war gierig nach allen englischen Dingen, von der Literatur über die entzückenden alten Holz- und Steincottages bis zu seinem ländlichen Charme. Bei unseren beiden bisherigen Besuchen hatte auch Cindy sich in dieses Land verliebt. Mich begeisterte sogar das englische Gras, es war so weich und duftete so süß. Es gibt nichts Vergleichbares in Amerika, nicht einmal in Vermont. Und außerdem gibt es keine lästigen Insekten in England, keinen giftigen Efeu oder hinterhältige, fiese Schlangen. Es ist ein wohlwollendes Land. Ich würde mich nicht in Vermont von meinem Ziel abbringen lassen, aber ich freute mich für Perth. Sie würde sich vor lauter Begeisterung gar nicht mehr einkriegen.
Dann überfiel uns trotzdem das übliche schlechte Gewissen, weil wir sie den Sommer über zurückließen, auch wenn es an diesem wunderschönen Ort war. Wir hatten wieder das Gefühl, sie zu hintergehen, sie wieder einen Sommer im Stich zu lassen. Es war ein Vertrauensbruch, eine Zerstörung des Bandes, das zwischen uns war. Ich glaubte, dass sie sich mittlerweile ungeliebt und nicht mehr angenommen fühlen musste. Vielleicht war sie völlig durcheinander und niedergeschlagen und fühlte sich verletzt. Ich sah, wie sie mich mit ihren großen runden Augen anblickte. Was mich fertig machte, war die Tatsache, dass sie so voller Liebe war. Sie würde kein großes Gezeter veranstalten, aber ich war sicher, dass sie am Boden zerstört war.
An diesem Punkt, ungefähr eine Stunde bevor wir abfuhren, tat ich etwas Unverzeihliches. Aufgrund meines Verhaltens sollte ich noch wochenlang unter größten Schuldgefühlen leiden. Ich fühlte mich so elend, dass ich mir weismachte, es würde viel einfacher für Perth sein, wenn sie uns nicht allzu sehr vermisste oder uns nicht zu sehr liebte. Während der Stunde, die ich noch hatte, versuchte ich daher, sie dazu zu bringen, mich nicht mehr zu mögen. Gleichzeitig hätte ich sie am liebsten in meine Arme geschlossen. Ich sprach in einem schroffen Ton mit ihr und weigerte mich, sie zu streicheln. Ich wendete mich von ihr ab. Nicht einmal Cindy wusste, was ich tat. Aber was noch schlimmer war, ich stieß sie ein paar Mal heftig mit meinem Fuß von mir fort. Ich stöhnte innerlich, als ich es tat. Sie war völlig verwirrt, rannte um mich herum und versuchte immer wieder, in meine Nähe zu kommen. Aber ich stieß sie weg. Wir würden uns drei Monate lang nicht sehen, und trotzdem war ich so grausam zu ihr. Perth hatte in ihrem ganzen Leben noch nie gewinselt und sie tat es auch jetzt nicht. Aber es muss ihr danach zumute gewesen sein.
Ich bat einen Betreuer, sie mit einer Leine festzuhalten, als wir ins Auto stiegen. Als wir losfuhren, setzte sie sich hin und sah uns still hinterher. Ein leises Lüftchen bewegte sanft die Blätter in den Bäumen, die Vögel sangen, und das Leben ging weiter. Aber was hatte ich bloß getan? Würde mich Perth für immer hassen? Verdiente ich einen solchen Hund überhaupt noch?
Als wir den Berg hinunterfuhren, hatten wir die ganze Zeit über Bedenken, dass Perth uns bis nach Boston folgen würde. Wir fragten uns auch, wie sie wohl mit den Mädchen zurechtkommen würde. Sie hatte keine Erfahrung mit Kindern. Wir versuchten uns gegenseitig davon zu überzeugen, dass sie sich im Camp wohlfühlen würde und dass sie dort bis zu unserer Rückkehr gut aufgehoben war. Am nächsten Tag saßen wir im Flugzeug nach England.
Kapitel 7
M itte Juni kamen wir in London an und Anfang September wollten wir wieder bei Perth sein. London war aufregend. Seine Theater, Konzerthallen, Museen und Geschäfte waren ungemein inspirierend. Ich begann sofort mit meiner Arbeit in der British Library und vergrub mich in Büchern und Manuskripten aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ich war
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