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Perth

Perth

Titel: Perth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Martin
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Man hat das Gefühl, dass man früher schon davon geträumt hat und dass es auf geheimnisvolle Weise das eigene vorbestimmte Zuhause ist. Es ist wie bei einem uralten Mythos, durch den Erinnerungen und Traditionen greifbar werden und der so oft in der Vorstellung wiederkehrt und einem als Ausdruck menschlicher Bedürfnisse so vertraut ist, dass man ihn sofort erkennt. Man schlüpft mit der gleichen Selbstverständlichkeit in diese Vorstellungswelt hinein wie in ein altes Hemd oder einen alten Mantel. Es verleiht einem das Gefühl, man selbst zu sein.
    Ein typisches englisches Dorf ist natürlich alt und zugleich Teil der realen Welt. In einem idealen, unverdorbenen Zustand ist es eine kleine autarke Welt für sich, ein wunderschöner und fruchtbarer Ort zum Leben. Es ist kaum nötig, sich aus dem Dorf hinauszubegeben, außer vielleicht, um zu arbeiten, so wie ich ins nahegelegene Arundel zur Arbeit fuhr. Bury ist noch immer so. Es hat seine eigene Kirche, Schule, Post, seinen eigenen Pub , einen Laden und eine Farm (bei der wir Milch, Sahne und Eier kaufen können) und eine Hundepension. Außerdem gibt es eine Reihe von Vereinen und Clubs wie zum Beispiel den Gartenverein, eine Spielgruppe für Kleinkinder, einen Konzertverein, einen Tennisclub, einen Wanderverein, einen Kochverein, einen Radfahrverein und das Fraueninstitut. Das Dorf regiert sich selbst mithilfe eines Gemeinderats, der versucht, mit einem Minimum an Auseinandersetzungen alle zufrieden zu stellen. Der Gemeinderat versucht auch, feindliche Geldhaie aus der Stadt abzuwehren, die sich in der Gegend umsehen, um das eine oder andere Cottage oder ein Stück Land aufzukaufen, das sie renovieren oder zur Bebauung erschließen wollen. Auf diese Weise würden die uralten Mythen und Traditionen zerstört, die sie gewinnbringend auszuschöpfen versuchen. In den letzten Jahren kam die Abwehr solcher Eindringlinge dem Versuch gleich, zahlreiche Lecks in einem aufweichenden Deich zu stopfen.
    Cindy und ich nahmen in Bury bald noch etwas anderes wahr, das Menschen, die nicht in einem Dorf leben, leicht entgehen kann: eine unbeschreibliche Aura der Sicherheit und des Schutzes, die alles umgibt. Anders als ein Ort, an dem man vorübergehend Zuflucht sucht oder an dem man sich zur inneren Einkehr aufhält, strahlte die Lage des Ortes in der Landschaft etwas Unvergängliches aus. Umgeben von der Natur, war dieser Ort seit Jahrhunderten im Einklang mit seinen Zyklen und Jahreszeiten. Es war ein Gefühl der Sicherheit, das keiner von uns beiden je zuvor gekannt hatte. Zum ersten Mal verstand ich ein wesentliches Merkmal in der englischen Literatur, etwas, das Schriftsteller von Chaucer über Shakespeare, Jane Austen, John Keats oder Kenneth Grahame bis zu den großen Poeten der letzten hundert Jahre beschrieben und gefeiert haben: die tiefe Sympathie und Zuneigung, die die Engländer für ihre Landschaft empfinden, und die Art und Weise, wie sie sie nutzen, um sich sich selbst zu erklären.
    Bury ist sehr bevorzugt. Es liegt still am Fuße der South Downs , einer langgezogenen Hügelkette, die sich hundertdreißig Kilometer weit erstreckt. Abgesehen von Farmern wohnt sonst fast niemand dort. Im Osten breitet sich der Ort über sanft abfallende Weiden sowie Gersten- und Weizenfelder bis zum Fluss aus, hinter dem sich ausgedehnte Feuchtwiesen und in der Ferne die grünen Downs befinden. Wie bei einem perfekten Bühnenbild ist im Hintergrund — harmonisch in der Mitte des Bildes angeordnet — der Ort Amberley mit seiner mittelalterlichen Burg zu sehen. Im Westen schlängelt sich eine kleine Straße durch eine Reihe von verstreuten Dörfern und Weilern, die alle friedlich unterhalb der Downs liegen. Von dieser Straße führen Pfade entweder in die Hügel hinauf oder zu den angrenzenden Weiden. Im Ort selbst sind die reet- und schiefergedeckten Cottages entlang der beiden Straßen angeordnet, die ihn durchziehen, so dass man von den Gärten der meisten Häuser einen offenen Blick auf die umliegende Landschaft hat. Innerhalb einer Minute gelangt man auf Pfaden von jedem beliebigen Teil des Ortes in die offene Landschaft.
    Alles in allem war es ein Paradies, das wie für uns und Perth gemacht war. Im Moment war es überschattet durch die traurige Tatsache, dass sie es sechs Monate lang nicht genießen konnte. Aber die Wochen vergingen schnell, und einen Monat später bahnten wir uns eines Samstagsmittags wieder unseren Weg zum Zwinger, dem düsteren Fleck in unserer

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