Pesch, Helmut W.
der an den Felsen gekettet auf den Tod wartete. Für einen Moment war alles andere vergessen: Gunhild und Laurion, die Swart-alfar und alles, was mit ihnen zu tun hatte; und auch die Hitze, die ihm den Schweiß aus den Poren trieb, den Mund austrocknete und in den Augen brannte, spürte er für einen Moment nicht. Vielmehr glaubte er, sein Blut würde gefrieren, als er Hagen hilflos an den Felsen geschmiedet sah.
»Hagen, was ist passiert?«, schrie Siggi.
»Siggi, endlich bist du da …«, keuchte Hagen, dem der Schweiß am ganzen Körper herunterlief. Er musste schon länger hier der mörderischen Hitze ausgesetzt sein.
»Diese Schweine!«, grollte Siggi, als er sich seinen Weg über die geronnene Lava am Rand des Feuersees suchte. »Was haben die mit dir gemacht?«
»Sie … sie haben mich gefangen«, antwortete Hagen schwach. »Sie schleppten mich vor ihren finsteren König, der mich einen Eindringling nannte, der den Tod verdient. Ich wehrte mich, sagte ich wollte gar nichts von ihnen, nannte die Schwarzalben blutrünstige Bestien. Darauf verurteilte er mich zum Feuertod in den Flammen Muspelheims. Er nannte mich einen Verräter und Neiding, der es verdiene, das Schicksal Lokis zu teilen.«
Während Hagen erzählte, sank seine Stimme zu einem Flüstern herab, das der näher kommende Siggi kaum verstehen konnte.
»Ich krieg dich da los«, sagte Siggi fest. »Mein Hammer wird die Ketten zerschmettern.«
Er hatte Hagen erreicht, der kraftlos in den Fesseln hing. Den Hammer in der rechten Hand, prüfte er die Ketten. Sie waren schwer und massiv.
Ein schneller Blick nach oben sagte Siggi, dass er Zeit genug haben würde, denn die Lava schob sich langsam und träge die Rinne hinab – ein teuflisches System, das Hagen der seelischen Folter aus-setzte, den Tod immer vor Augen zu haben, während er darauf wartete.
»Gleich bist du frei«, versuchte Siggi seinem Freund Mut zu machen. Hagen antwortete nicht mehr; der Ohnmacht nahe, hing er in den Ketten.
Siggi sah sich die Fesselung näher an. Natürlich konnte er versuchen, die Ketten, die Hagen an den Felsen banden, nahe der Arme und Beine zu durchtrennen. Allerdings bestand die Gefahr, dass er seinen Freund dabei verletzte. Es gab eine viel bessere Stelle wie Siggi schnell erkannte. In den Felsen waren Ringe getrieben worden, welche die Glieder der Kette hielten. Dort würde der Kriegshammer das schwarze Eisen zerschlagen können.
Siggi erhob den Hammer zum Hieb. Seine innere Ruhe überraschte ihn. Auch der Hammer, nicht nur der Ring, war die Quelle einer Kraft; er spürte das Kribbeln, das von ihm ausging.
»Halt ein, Midgard-Knabe!«, klang eine tiefe Stimme hinter ihm auf. »Führe einen Schlag gegen die Ketten, und du bist des Todes!«
Siggi wirbelte herum, den Hammer erhoben, und sah in die Gesichter mehrerer Schwarzalben, die vor ihm aus einer geheimen Tür getreten waren, welche nun offen stand und einen Blick auf einen dahinter liegenden Stollen freigab. Roter Feuerschein blinkte auf Klingen und Rüstungen; einige der Krieger hielten Geräte in den Händen, die ihn an eine Kombination von Bogen und Gewehr erinnerten – es mussten Armbrüste sein, und sie sahen so aus, als ob ihre Bolzen auf kurze Distanz selbst einen Panzer zerschlagen konnten, von einem Kettenhemd ganz zu schweigen –, und sie waren auf ihn gerichtet.
Einen Schritt vor den anderen stand einer, der ihr König oder zumindest ein sehr mächtiger Anführer sein musste. Er war größer als die anderen. Sein Haar war schwarz wie die Nacht, seine Augen so dunkel wie Kohle. In seiner Rechten hielt er kein Schwert, sondern eine Axt mit schwarzen, breitem Blatt.
Alles in allem waren es fast ein Dutzend Schwarzalben, alle ge-
übte Krieger, wie es schien, aber seltsamerweise hatte Siggi überhaupt keine Angst. Die Kraft des Hammers, die seine Zuversicht geweckt hatte, versagte ihm auch hier den Dienst nicht. Er packte den Hammer fester und sah, wie eine Art Respekt in den Augen der Schwarzalben aufglomm. Er würde sich nicht so einfach gefangen nehmen lassen, schwor sich Siggi. Er würde sich und Hagen bis zum letzten Atemzug verteidigen.
Und dann war da noch der Ring, seine Geheimwaffe, die ihn unsichtbar machte.
Allerdings gedachte Siggi diesen Vorteil nicht leichtfertig zu ver-spielen. Seine Gedanken schweiften zu Laurion und Gunhild. Vielleicht waren sie entkommen, und dann würden sie ihm sicher zu Hilfe eilen, und in diesem Augenblick wäre der Moment da, unsichtbar zu werden
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