Pesthauch - Band 1 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
Mannes noch in unangegriffenem Zustand ist. Habe ich etwas ausgelassen?“
Jung blickte in die Runde, Hinrichs auf seine Notizen.
„Nein, Herr Jung“, bestätigte er. „Das war es in groben Zügen. Aber, meine Herren, ich frage mich, welchen Schluss wir hieraus ziehen sollen und was wir dem Rat der Stadt berichten sollen … Man wird uns auslachen, wenn wir dies vortragen!“ Und er hielt den Notizblock mit den Befunden hoch.
„Richtig, Herr Hinrichs“, sagte Stanken und trocknete sich seine frisch gewaschenen Hände ab. „Wir können den Herren Kaufmännern schlecht eine Vampirplage voraussagen, sicher nicht! Doch rechnen müssen wir damit! Es mag eine Chance geben, dass es sich um etwas anderes handelt, ein unbekanntes Tier womöglich, eingeschleppt auf einem der zahllosen Schiffe, die unsere Stadt in ihrem Hafen beherbergt, und das sich befreit hat und nun futtersuchend durch die Gassen streift. Doch halte ich das für eine Möglichkeit mit niedrigstem Wahrscheinlichkeitsgrad!“
„Aber wir sind doch sicher, dass es sich um einen Blutsauger handelt, einen Vampir!“, warf Hinrichs ein.
„Doch ist die Gemeinde dort draußen bereit, uns Glauben zu schenken? Bedenkt, meine Herren, den Unterschied zwischen Glauben und Wissen! Wir wissen … doch sie“ – er wieß mit dem Finger in Richtung der Stadt – „sie können nicht wissen, sie können nur glauben … Und was meint Ihr, was los wäre, wenn wir die Behauptung, es seien Vampire in der Stadt, unters Volk brächten?“
„Mord und Totschlag wären die Folge“, sagte Hinrichs matt.
„Machen wir also zwei verschiedene Protokolle, schlage ich vor. Ein offizielles und eines für den internen Gebrauch, wenn Ihr den Ausdruck gestattet. In Ersterem wird stehen, dass es anscheinend ein Tier gewesen sei, eingeschleppt auf einem Schiff unbekannter Herkunft. Und wir warten ab, ob es mehr Opfer geben wird. Möglicherweise ist dies ja auch eine andere Form der Pest, die sich ausgebildet hat. Dies und ein, zwei weitere eventuell denkbare Szenarien werden wir dem Senat überlassen und demselben dann die Schlussfolgerungen sowie die nötigen Maßnahmen. Den zweiten Bericht jedoch werden wir in dreifacher Ausfertigung herstellen und er wird unseren wahren Schluss darlegen: Dass es die Tat eines Nosferatu ist, eines Blutsaugers, im Volksmund Vampir genannt. Eine Kopie werde ich behalten für meine Unterlagen, eine werde ich dem Bürgermeister geben, der, wie Ihr wisst, ein gebildeter Mensch von hohem Pragmatismus ist und der meinem Urteil vertraut. Die dritte Ausfertigung wird einem Militär übergeben, von dem ich weiß, dass er dem Thema verhaftet ist und nicht lang überzeugt werden muss. Was dann geschieht liegt außerhalb unserer Macht, meine Herren. Aber seid auf der Hut!“
Beim Abschied geleitete Stanken Jung und Hinrichs zur Tür.
„Um eines möchte ich Euch noch bitten, meine Herren … schreib bitte selbst die drei Berichte mit dem wahren Befund und lassen dies nicht ihre Sekretäre tun. Je weniger Personen darum wissen, desto besser!“
Hinrichs und Jung versprachen, zusammen diese Arbeit zu verrichten, und verschwanden in der Dunkelheit. Kurz darauf verließ auch Professor Stanken sein Haus, gekleidet in dunkle, unauffällige Sachen, die in totalem Gegensatz zu seiner sonst eleganten Erscheinung standen und ihn dem flüchtigen Betrachter gegenüber nahezu unkenntlich machten.
Ich war einigermaßen erstaunt, als es an der Tür klopfte. Ich erwartete niemanden und öffnete vorsichtig die Tür. Für den nächsten Morgen hatte der Holländer seine Kutsche avisiert und wir würden zu unserer Fahrt aufbrechen.
Draußen stand Doktor Stanken, ein alter Bekannter, ein Freund, der mir damals die Kugel aus dem Bein entfernt hatte. Ich bat ihn natürlich sofort herein und entschuldigte mich im gleichen Atemzug für das Chaos in meinem Zimmer und für die halb gepackten Koffer.
„Ich wusste gar nicht, dass Ihr hier ansässig seid, lieber Doktor, sonst hätte ich Euch sicher mit meiner Anwesenheit belästigt!“
Der alte Mann lächelte mich an und ich fragte mich, wie alt er wohl nun sein mochte. Schon damals, als er die Kugel entfernt hatte, war er ein weißhaariger Mann gewesen, und das war ein Jahrzehnt her!
„Oh, ich lebe schon seit sieben Jahren hier und die Pest hat es nun so gerichtet, dass ich oberster Pestarzt geworden bin … nun ja. Aber ich wusste um Ihr Hiersein, Lieber Steinborn. Nur ist die Situation in der Stadt momentan nicht zum
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