Pesthauch - Band 1 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
Herren eines reichte.
„Nicht zwangsweise!“, gab der erfahrene Pathologe zu bedenken.
„Aber Ihr sagtet …“, begann Jung, wurde aber mit einem Lächeln zum Schweigen gebracht. Stanken war gut darin sich Gehör zu verschaffen und dabei freundlich zu sein, so dass nie jemand ihm daraus ein Hehl machte.
„Es gibt ja noch mehr Denkansätze, meine Herren. Wie wäre Folgendes: Ein Mensch will einen anderen – warum auch immer, das spielt keine Rolle – will also einen anderen töten. Er möchte aber auch seiner zu erwartenden Strafe entgehen. Er kennt die alten Sagen und Legenden von Vampiren. Er hat ein kleines bisschen Ahnung von der menschlichen Anatomie, was jeder bessere Schlachter oder Soldat auch besitzt. Er fertigt sich mittels eines Brettchens und zweier Nägel ein Werkzeug, um eine Täuschung zu erreichen. Er geht nun zu seinem Opfer, betäubt es mittels eines Schlages oder einer Droge und sticht dem betäubten Opfer mit den Nägeln in die Halsader und lässt ihn verbluten. Dann befördert er den toten Körper an eine andere Stelle, um das vergossene Blut zu verschleiern und lässt ihn liegen. Wer auch immer den blutleeren Körper mit den Löchern im Halse finden mag, die Vermutung es sei ein Vampir gewesen, liegt doch jedem sehr nahe!“
Die beiden Jüngeren waren zu erstaunt, um gleich zu antworten. Schließlich fasste sich Hinrichs und sagte:
„Mein lieber Herr Professor, es ist erstaunlich, ich muss schon sagen! Ihr führt Beweis und Gegenbeweis und lassen uns so verwirrt zurück, wie wir kamen! Wie sollen wir das ergründen? Wie herausfinden, was wahr und was Täuschung sein mag?“
„Genau das ist es, meine Herren! Genau das ist es! Wie bei einem lebenden Menschen, der erkrankt ist, müssen wir bei einem toten Menschen die Fragen nach dem Wieso und Weshalb stellen und beantworten!“
„Nun, einen Kranken kann ich befragen, Herr Professor, um seine Krankheit zu verifizieren!“, gab Jung zu bedenken.
„Und ein Toter kann nicht mehr lügen!“, erwiderte Stanken. „Wir müssen uns die Tatsachen vor Augen führen und unsere Schlüsse ziehen. Die Spuren sind da, Ihr selbst haben sie gesehen! Lasst sie uns interpretieren!“
Sie begaben sich wieder in den Seziersaal zurück. Der Gips war um die Hölzchen herum fest geworden. Stanken zog den Abdruck ab und hielt ihn hoch.
„So etwa müssen wir uns den Biss also vorstellen, nur eben mit Zähnen. Von der Form her durchaus menschlich, aber eher mit Zähnen ähnlich denen einer Katze oder eines Hundes, will mir scheinen. Nun, wollen wir einmal sehen, ob dies passen könnte …“
Er trat an die Leiche der Frau und entblößte deren Hals. Jetzt konnten Jung und Hinrichs die Spuren auch sehen und beugten sich vor, um einen besseren Blick auf das zu haben, was Stanken nun tat. Vorsichtig setzte er den Abdruck auf den Biss am Hals der Frauenleiche. Er schob und drehte ein wenig und die Spitzen der Hölzchen saßen genau in den Löchlein am Hals der Frau.
„So wie es aussieht, hat diese Frau den Apotheker nicht gebissen, sondern wurde selbst von dem gebissen, was auch den Apotheker angefallen hat! Somit ist sie nicht Täter, sondern Opfer, meine Herren!“
Jung beugte sich noch weiter vor. Er musterte die Stelle der Zahneinstiche aufmerksam.
„Lasst uns sehen, ob auch in ihr dieselben Hohlräume zu finden sind, die wir drüben fanden!“, schlug er vor.
„Eine hervorragende Idee!“ Und sofort machte der alte Pathologe sich ans Werk. Sie obduzierten eine Stunde oder länger und auch Hinrichs war nun vom Fieber angesteckt. Stanken und Jung schnitten und begleiteten ihre Arbeit mit Erklärungen, die Hinrichs akribisch auf Papier festhielt.
Dann stand der Befund fest. Stanken überließ es Jung, die Ergebnisse zusammenzufassen.
„Beide Leichen zeigen den gleichen Befund, jedoch in unterschiedlich starker Ausbildung. Allem Anschein nach wurde die Frau als Erste gebissen, denn ihr Zersetzungsgrad ist um einiges höher als der des Mannes, doch von gleicher Art. Beide wurden vom selben ‚Wesen‘ angefallen und in den Hals gebissen, wobei ihnen eine Substanz eingespritzt worden sein muss, die in Folge die Gerinnung des Blutes, die an der Luft sonst rasch einsetzt, unterband und in den Körpern zu einem Zersetzungsprozess führte, der wiederum die Bildung von Hohlräumen im Körper zur Folge hatte. Dieser Prozess scheint bei der Frau weiter fortgeschritten als bei dem Mann, weshalb ihr Gesicht schon zerfressen war, wohingegen das Gesicht des
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