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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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verzichtete aber auf eine Antwort und hob stattdessen die linke Hand ans Gesicht, um seine Stimme zu verstärken.
    »Ahoi, Caravelle!«, rief er, »wir sind ein friedliches Pilgerschiff auf dem Weg …« Da wehte ein absurd leiser Knall über das Wasser heran. Praktisch gleichzeitig mit dem orangeroten Blitz der Mündungsflamme schlug eine winzige Staubwolke aus Abu Duns Schulter, und der nubische Riese stolperte mit einem überraschten Grunzen zurück und fiel mit ausgebreiteten Armen auf das Deck.

Kapitel 21
    I n der nächsten Sekunde brach die Hölle über die Pestmond herein. Es war, als summte ein wütender Hornissenschwarm heran, als sich Dutzende von Musketen gleichzeitig entluden, und die Reling der Caravelle verschwand hinter brodelndem Pulverdampf, aus dem zahllose rote Blitze wütenden Messerklingen gleich nach ihnen stachen. Dann ging ein Hagel aus Holzsplittern und Funken nieder, als überall um ihn herum Musketenkugeln in Aufbauten, Masten und Decksplanken fuhren. Im Segel klafften auf einmal faustgroße Löcher. Jemand schrie, hoch und spitz wie eine Frau. Aus den Augenwinkeln sah Andrej, wie der Mann am Ruder zurückgeschleudert wurde und Funken aus seinem Mantel stoben.
    Während Ali und seine Assassinen sich blitzschnell hinter die Bordwand duckten, war er selbst mit einer kraftvollen Rolle neben Abu Dun, um den leblosen Nubier in Deckung zu zerren. Einzig Hasan rührte sich nicht. Hoch aufgerichtet und mit geschlossenen Augen stand er inmitten des Kugelhagels, das Kinn auf die gefalteten Hände gestützt. Seine Lippen bewegten sich wie in einem stummen Gebet. Er hatte die Kapuze zurückgeschlagen und den Turban abgenommen, sodass man sein Gesicht und das schulterlange weiße Haar erkennen konnte, das im Wind wehte, vielleicht auch im Luftzug der Musketenkugeln, die noch immer auf das Deck niederprasselten wie tödlicher eiserner Regen. Hielt sich dieser Wahnsinnige vielleicht für kugelfest?
    Wie durch ein Wunder war Andrej bisher noch nicht getroffen worden, aber es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das geschah, und auf eine Begegnung mit einer einen Zoll durchmessenden Bleikugel, die mit der zehnfachen Schnelligkeit eines Pfeiles herangeflogen kam, konnte er getrost verzichten.
    Auf beiden Knien kriechend schleifte er Abu Dun hinter sich her, bis sie ebenfalls den zweifelhaften Schutz der Bordwand erreicht hatten. Das daumendicke Holz bebte wie ein dünner Fensterladen unter den Hieben eines Hagelsturmes, und nur eine Handbreit über seinem gekrümmten Rücken verwandelte es sich allmählich in eine bizarre Skulptur aus Splittern und grauem Qualm. Etwas strich so heiß wie der Atem eines Drachen über seinen Nacken, und er roch versengten Stoff. Vielleicht war es auch verbranntes Fleisch.
    Mühsam drehte er Abu Dun auf den Rücken und erschrak, als er erkannte, wie nahe am Herzen ihn die Kugel getroffen hatte. Der Nubier lebte und war sogar bei Bewusstsein, aber die Verletzung war schlimm, selbst für einen Mann seiner Art. An diesem Kampf würde Abu Dun kaum noch teilnehmen können.
    Noch immer fielen Schüsse in rasender Folge und verwandelten das Deck der Pestmond ebenso langsam wie unerbittlich in eine Trümmerwüste. Auch Hasan hatte mittlerweile Vernunft angenommen und sich ebenfalls hinter die Bordwand geduckt – oder Ali hatte ihn einfach zu Boden gerissen. Der anhaltende Beschuss zwang die Assassinen, in Deckung zu verharren, sodass an eine Gegenwehr nicht zu denken war. Und die Caravelle kam näher. Auch Andrej wagte es nicht, den Kopf aus seiner Deckung zu heben, aber er konnte den Giganten spüren, der auf die winzige Pestmond zuraste. Das Schiff war groß genug, um die hundert Jahre alte Galeota zu zerschmettern, ohne dabei selbst nennenswerten Schaden zu nehmen.
    Und schon kam der erste Enterhaken herangeflogen, krallte sich nur einen Fingerbreit neben Alis Schulter in die Bordwand. Mit einem peitschenden Knall spannte sich das Seil. Riesig wuchs die Flanke der Caravelle über ihnen auf, und ihre geblähten Segel verdunkelten den Sternenhimmel. Das Schiff raste nur so an ihnen vorbei, aber der Mann am Ruder verstand sein Handwerk, ebenso wie seine Mannschaft, denn dem ersten Enterhaken folgten noch weitere, drei, vier, fünf, ein Dutzend, die sich unerbittlich ins morsche Holz der Bordwand bissen und das Schiff einfach mit sich reißen würden – oder auch in Stücke.
    Einer von Alis Assassinen schien die Gefahr zu erkennen und wollte aufspringen, um das Tau des nächsten

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