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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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entsetzlich stark, noch längst nicht wirklich erwacht war. Eine düstere, verbotene Gier nach Blut und warmem Fleisch, in das er seine Zähne schlagen, das er zerreißen konnte, herunterschlingen, um das pure rote Leben aus ihm herauszusaugen …
    Erschrocken ließ Andrej den Mann los und fiel neben ihm auf die Knie, als er zusammenbrach. Es war zu spät, der Mann war tot. Andrej sah das Grauen, das noch immer in seinen erloschenen Augen lag, und empfand kaltes Entsetzen bei der Erinnerung an seine eigenen Gefühle.
    Wenn es Erinnerungen waren.
    Erinnerungen waren etwas Vergangenes, doch die schreckliche Gier war noch immer da, gebändigt, aber nicht besiegt.
    Eine Folge weiterer Explosionen, die die Pestmond erschütterten, sodass die Nacht in zuckendem rotem Licht erstrahlte, riss Andrej in die Wirklichkeit zurück und ließ ihn aufspringen, gerade noch rechtzeitig, um mit der freien Hand nach der Reling zu greifen und sich daran festzuhalten, als sich das Schiff mit einem gewaltigen Ächzen von der Caravelle löste und zur Seite neigte. Alis Weidenkorb fiel um und verteilte seinen tödlichen Inhalt zwischen den Füßen der Kämpfenden, und auch der Soldat, den Andrej gerade getötet hatte, schlitterte davon und verschwand in der Dunkelheit, als wäre das, was er dem bedauernswerten Mann angetan hatte, so entsetzlich gewesen, dass er noch im Tode vor ihm zu fliehen versuchte.
    Langsam bewegte sich die Pestmond von der Caravelle weg, die an etlichen Stellen in Flammen stand, sodass die wenigen Angreifer, die es noch an Bord geschafft hatten, nun keine Verstärkung mehr bekamen und auf verlorenem Posten standen. Die Hälfte von ihnen wurde niedergemacht, noch bevor Andrej wieder unten auf dem verheerten Deck war, und die wenigen verbliebenen Männer suchten ihr Heil in der Flucht, als ihnen die Aussichtslosigkeit ihrer Lage klar wurde. Nicht einem Einzigen gelang es, die rettende Bordwand zu erreichen.
    Andrej versetzte es einen Stich, als er sah, wie die Assassinen den flüchtenden Männern nachsetzten und sie erbarmungslos mit ihren Schwertern oder den schrecklichen Dornenhandschuhen niedermetzelten. Auch der Tod dieser Männer war unnötig, eine Verschwendung von Leben. Und er hasste Verschwendung.
    Und doch nagte da zugleich ein winziger Zweifel an ihm, ob er nicht in Wahrheit zornig war, weil er von dem Töten ausgeschlossen wurde.
    Dieser Gedanke war so schrecklich, dass er es nicht wagte, ihn zu Ende zu denken, sondern sein Schwert einsteckte und noch einmal zu dem feindlichen Schiff hochsah, während er zu Abu Dun eilte. An Deck des größeren Seglers wüteten gleich vier Brände unterschiedlicher Heftigkeit und Größe, und auch hinter etlichen Geschützluken loderte es rot und gelb. Sonderbar unbeteiligt entdeckte Andrej unter den reglos im Wasser Treibenden zwei, die sich noch regten. Ihre Kleider schwelten.
    Das Schiff war beschädigt, aber nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Dass der Angriff nicht unmittelbar fortgesetzt wurde, lag wohl eher an ihrer unerwartet heftigen Gegenwehr und der Vernunft seines Kommandanten, der unnötige Verluste vermeiden und seinen Männern Gelegenheit verschaffen wollte, die Feuer zu löschen. Sie würden nicht lange dafür brauchen. Und dann zurückkommen.
    Abu Dun rollte sich schwer auf die Seite und versuchte sich auf den Ellbogen des unversehrten Armes hochzustemmen. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass Andrej es knirschen hörte. Aber immerhin war er bei Bewusstsein.
    »Bleib liegen«, befahl Andrej. »Ich will mir die Wunde ansehen.«
    »Humbug«, stieß Abu Dun hervor. »Seit wann hält mich so ein … Kratzer auf?«
    Noch vor wenigen Tagen hätte Andrej dieselbe Frage gestellt, aber seit jener schicksalhaften Nacht in der Wüste hatte sich alles geändert. Und gewiss nicht zum Besseren. Ohne Abu Duns Worte zu beachten, zwang er seine Hand zur Seite und schlug den Mantel des Nubiers zurück, um die Wunde zu begutachten. Das Hemd war nass und schwer von seinem Blut, die Verletzung selbst aber bereits so gut wie verschwunden. Das Problem war, wie er nach einem weiteren beunruhigten Blick feststellte, dass sein Rücken völlig unversehrt war, und es dort auch kein Blut gab.
    »Die Kugel ist noch drin«, sagte Andrej.
    Abu Dun schnaubte. »Und? Ein paar Gramm Blei machen mir nichts aus.«
    »Wenn sie so dicht am Herzen sitzen, vielleicht schon.« Zum Beweis stieß er Abu Dun den Zeigefinger unsanft gegen die Brust, woraufhin der Nubier

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