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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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als er aufstand und durch das knöcheltiefe Wasser auf ihn zukam. »Entern wir dieses hübsche kleine Schiffchen und machen uns von dannen? Ich hätte nichts dagegen, mich nach all der Zeit wieder einmal als Pirat zu versuchen. Ein bisschen Konkurrenz ist genau das, was unsere neuen Freunde brauchen, wenn du mich fragst. Und ich bin selbst ein wenig neugierig, ob ich es nach all der Zeit noch kann.«
    Das war nicht ernst gemeint – natürlich nicht –, aber genau wie seine Bemerkung über Corleanis trafen auch diese Worte den Kern ihres Problems. Im Augenblick wusste Andrej tatsächlich nicht so recht, was sie tun sollten. Das Schiff war eindeutig zu groß, um es zu übernehmen, selbst für Abu Dun und ihn, einmal ganz davon abgesehen, dass sie kein Blutbad anrichten wollten. Sie konnten vermutlich einfach von hier verschwinden und tun, was Abu Dun vorgeschlagen hatte (vielleicht ohne den Teil mit der Piraterie), aber das würde nicht nur bedeuten, Hasan zu hintergehen, sondern endgültig auszublenden, was die ganze Zeit über in seinem Hinterkopf herumspukte: dass Abu Duns Schicksal untrennbar mit dem Hasans verbunden war.
    Die Entscheidung wurde ihnen abgenommen, denn auf dem Deck über ihnen konnte Andrej das Poltern schwerer Schritte hören und ein Geräusch wie von einer schweren Kette. Abu Dun verschwand mit einem noch lauteren Platschen wieder in die Richtung, aus der gekommen war, und Andrej ließ sich in seine alte Position zurücksinken. Ungefähr wenigstens. Er hoffte, dass der Bursche sich keine Zeichnung gemacht hatte.
    Das Klirren wiederholte sich, und ein Keil aus trübgelbem Licht fiel von oben herein, als eine Klappe geöffnet wurde. Jemand polterte die Mischung aus steiler Treppe und Leiter herab, die man ihn vorhin hinuntergeworfen hatte, und Andrej erkannte zuerst zwei Gestalte, dann noch eine dritte, die in einem von dem allgemeinen Durcheinander ringsum vorgegebenen Slalom näher kamen. Das flackernde Licht einer Sturmlaterne stanzte kurzlebige Impressionen aus der Dunkelheit, die seine Vermutung bestätigten: Sie befanden sich in einem fensterlosen großen Raum mit nach außen geneigten Wänden, der mit zerrissenem Segelzeug, Tauen und Säcken, geborstenen Fässern und modernden Körben voller Schimmel und allem möglichen anderen Unrat vollgestopft war – das schwimmende Gegenstück zu einem Keller, in den man über eine Generation hinweg alles hineingestopft hatte, was man irgendwann noch einmal hatte verwenden wollen und doch nie wieder gebraucht hatte. Eiskaltes Salzwasser faulte in knöcheltiefen Pfützen auf dem Boden, und wieder glaubte er, eine Ratte davonhuschen zu sehen. Es roch nach faulendem Holz und Moder.
    »Das sind sie, Capitan«, sagte die raue Raspelstimme, die ihm inzwischen leider schon viel zu vertraut war.
    Das gelbe Licht huschte über etwas sehr Großes und Schwarzes in einigen Schritten Abstand, glitt über Andrejs Gesicht und kehrte zitternd wieder zurück. Er widerstand der Versuchung, einen weiteren Blick zu riskieren, denn er spürte, dass er aufmerksam beobachtet wurde. Vorsichtshalber hörte er auf zu atmen – nicht nur, damit man das Heben und Senken seiner Brust nicht mehr sah.
    Eine Weile hielt das Gefühl des Angestarrt-Werdens noch an, dann entfernten sich die Schritte, und eine andere, eindeutig zivilisierter klingende Stimme sagte: »Ja, das scheinen die beiden zu sein, die man mir beschrieben hat. Heilige Muttergottes, das ist der größte Mann, den ich jemals zu Gesicht bekommen habe! Ist das überhaupt ein Mensch?«
    »Es ist ein Schwarzer«, erwiderte der Matrose auf eine Art, als würde das alles erklären. Dann folgte ein dumpfer Laut, und Andrej schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass ihm nicht ein zorniges Schnauben und möglicherweise das Geräusch brechender Knochen folgte. Abu Dun schätzte es gar nicht, getreten zu werden. Nicht einmal als Leiche.
    Der Nubier beherrschte sich jedoch, und bevor der Matrose weiter an seiner eigenen Verstümmelung arbeiten und noch einmal zutreten konnte, sagte der Kapitän scharf: »Lass das, du Dummkopf! Der Mann mag unser Feind gewesen sein, aber er ist tot, und Toten erweist man Respekt!«
    »Der Kerl hat unser halbes Schiff zerstört«, nörgelte der Matrose, aber immerhin verzichtete er darauf, den vermeintlich toten Nubier mit einem weiteren Fußtritt für diesen Frevel zu bestrafen.
    »Wenn dich das Loch im Deck so sehr stört«, sagte der Kapitän, »dann besorg dir Werkzeug und reparier den Schaden

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