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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zusammengerolltes daumendickes Tau anfühlte und wie Unrat roch, der seit zehn Jahren vor sich hin rottete. Dunkelheit umgab ihn, und es war so kalt, dass er am liebsten mit den Zähnen geklappert hätte, diesen Impuls aber tapfer unterdrückte, weil Tote so etwas nun einmal nicht taten. Die meisten der Verletzungen und Schrammen, die er sich bei seinem Sturz ins Wasser zugezogen hatte, waren mittlerweile verheilt, und auch die Kraft kehrte allmählich in seine Glieder zurück. Sein erster Zorn war längst verraucht und hatte einer Mischung aus Neugier und Vorsicht Platz gemacht. Es gab da sicher noch das eine oder andere, worüber er mit dem ungehobelten Burschen reden musste, aber das hatte Zeit bis später.
    Er wartete, bis sich Schritte und Stimmen wieder entfernt hatten, lauschte mit geschlossenen Augen in die Runde und wollte sich gerade vorsichtig aufsetzen, als eine Stimme neben ihm sagte: »Du kannst jetzt aufhören, den Toten zu spielen, Hexenmeister. Wen willst du damit täuschen … auch wenn du zugegebenermaßen so riechst?«
    »Du bist also auch wieder ganz der Alte«, sagte Andrej in die Dunkelheit hinein. Abu Duns Stimme hörte sich fremd an. Vage erinnerte er sich, dass mindestens eine der Musketenkugeln dessen Brust getroffen hatte, und sein schlechtes Gewissen meldete sich. Eine Bleikugel mit einem Durchmesser von fast einem Zoll aus unmittelbarer Nähe ins Herz zu bekommen konnte durchaus auch für ihn den Tod bedeuten.
    »Wenn ich wieder ganz der Alte wäre, dann wäre mir das gerade nicht passiert«, knurrte Abu Dun. »Verdammt, wie konnte ich nur so blind sein?«
    »Weil Don Fettbacke dich mit seinem natürlichen Charme so becirct hat?«, schlug Andrej vor.
    »Wenn du mir das die nächsten hundert Jahre vorhältst, dann sogar zu Recht«, fuhr Abu Dun missmutig fort. Andrej tat Abu Dun nicht den Gefallen, ihm zu widersprechen. Er konnte hören, dass der Nubier sich irgendwo neben ihm bewegte, ihn aber nicht sehen. Es war fast vollkommen dunkel, und der schlechte Geruch, den er immer intensiver wahrnahm, kam nicht nur von dem Haufen faulender Seile, auf den man ihn geworfen hatte. Seine Füße lagen in eisigem Wasser, und er meinte das Tappen winziger Pfoten zu hören und das Rascheln von nassem Fell. Wer auch immer die Männer an Bord dieses Schiffes waren, sie schienen einen gehörigen Respekt vor Abu Dun und ihm zu haben, wenn sie es für nötig hielten, selbst ihre Leichen in die Brigg zu werfen.
    Er setzte sich weiter auf, achtete aber sorgfältig darauf, sich die genaue Position zu merken, in der er dagelegen hatte; nur für den Fall, dass sein besonderer Freund zurückkommen und er weiter den Toten spielen müsste.
    »Und was tun wir jetzt?«, fragte Abu Dun schließlich. »Meister Don Schmerbauch den Hals umdrehen und dieses Schiffchen versenken?«
    »In beliebiger Reihenfolge«, lächelte Andrej, wurde aber schnell wieder ernst und wandte sich in die Richtung, aus der Abu Duns Stimme kam. »Aber vielleicht nicht sofort. Vorher würde ich gerne noch herausfinden, was hier wirklich gespielt wird.«
    »Gespielt«, wiederholte Abu Dun nachdenklich. »Wenn das wirklich ein Spiel ist, dann spielt hier irgendjemand falsch, meinst du nicht auch?«
    Für seine Verhältnisse war das schon fast dezent ausgedrückt, fand Andrej. Aber warum nicht einmal die Seiten tauschen? »Du willst sagen, jemand bescheißt.«
    Abu Dun ließ eine Sekunde verblüfften Schweigens einkehren und lachte dann grollend. »Ja, so könnte man es auch ausdrücken. Apropos ausdrücken: Hat Don Schwabbelgesicht zufällig gesagt, wohin er geht? Ich würde mich zu gerne einmal mit ihm über die Bedeutung des Wortes Ehrlichkeit in seiner Heimatsprache unterhalten.«
    »Auf Schmugglerisch, meinst du?« Andrej lachte – aber Abu Duns Bemerkung gab ihm auch zu denken. Selbst nach allem, was er gerade mit Corleanis erlebt hatte, erschien ihm der Gedanke einfach … falsch, dass der Schmugglerkönig sein Wort gebrochen haben sollte. Auf seine eigene und völlig verquere Art war Corleanis ein ehrlicher Mann, dem sein Wort und seine Ehre mindestens genauso wichtig waren wie ein satter Profit. Ganz egal, wie schwer es ihm auch fiel, in Gedanken auch nur ein einziges gutes Haar an ihm zu lassen, er war sicher, seinen eigenen kruden Regeln folgend hatte Don Corleanis sie nicht betrogen.
    Was in gewisser Weise ja auch stimmte. Er hatte sie umgebracht.
    »Also, Massa, womit fangen wir an?«, fragte Abu Dun. Ein schweres Platschen erscholl,

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