Pestmond (German Edition)
Schreien ausbrach, in dem selbst Andrej Mühe hatte, die Übersicht zu behalten. Es spielte auch keine Rolle, denn Abu Dun rannte einfach weiter, pflügte wie eine Naturgewalt durch die übereinanderpurzelnden Männer und riss Andrej im Vorbeilaufen einfach mit sich.
Die Treppe führte zum Deck hinauf. Unter dem Eingang erschien eine weitere schattenhafte Gestalt, die den verhassten Umriss einer Muskete schwenkte, und Abu Dun rannte auch sie einfach über den Haufen und stürmte noch ein halbes Dutzend Schritte weiter, bevor Andrej auch nur sein Gleichgewicht wiederfand und sich losreißen konnte (oder sich wenigstens halbwegs erfolgreich einreden konnte, Abu Dun hätte ihn nicht von sich aus losgelassen). Hastig warf er einen Blick in die Runde.
Es war nicht so schlimm, wie er erwartet hatte.
Es war sehr viel schlimmer.
Das Schiff schaukelte noch immer in bedrohlicher Nähe der Felswand auf den Wellen, sodass man meinen konnte, nur den Arm ausstrecken zu müssen, um den nassen Stein zu berühren. Schreie, aufgeregte Rufe und schwere Schritte bildeten eine einzige kreischende Kakophonie, und aus allen Richtungen stürmten Männer auf sie zu – Hunderte, wie es ihm schien, auch wenn es in Wahrheit nur ein Bruchteil davon war. Auf jeden Fall aber zu viele, auch wenn vielleicht nicht alle auf Abu Dun und ihn zuhielten. Nur ein Stück neben ihnen quoll fettiger grauer Rauch durch die Ritzen zwischen den Decksplanken, und Andrej bildete sich ein, das Prasseln der Flammen zu hören und ihre Hitze zu fühlen.
»Heda!«, brüllte eine befehlsgewohnte Stimme. »Ihr zwei! Bleibt stehen! Rührt euch nicht!«
Vielleicht hätte er sogar gehorcht, allein weil die Stimme so bestimmt und scharf war, dass sie einem Mann gehören musste, der das Wort Widerspruch nicht einmal kannte. Abu Dun waren solche Zweifel offensichtlich jedoch fremd. Er fuhr einfach herum, stieß mit einer beidhändigen Bewegung gleich zwei Soldaten nieder und griff aus der Drehung heraus schon wieder nach Andrej, um ihn mit unwiderstehlicher Kraft hinter sich her zur Reling zu zerren.
Schüsse krachten, drei, fünf, vielleicht ein halbes Dutzend, von denen mindestens einer auch traf, wenn auch nicht sie, sondern einen der Soldaten, die auf sie zustürmten. Der Mann griff sich an den Oberschenkel und machte ein mehr überraschtes als schmerzerfülltes Gesicht, bevor er zusammenbrach und dabei einen seiner Kameraden mit sich riss. Zwei weitere gingen zu Boden, noch bevor sie endgültig begreifen konnten, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, sich einem Mann wie Abu Dun in den Weg zu stellen, wenn er in vollem Lauf herangestürmt kam. Dann hatten sie die Reling erreicht.
Weitere Schüsse peitschten über das Deck, fetzten Splitter aus der Reling und blutige Streifen aus Abu Duns Gesicht, doch nichts von alldem vermochte sie aufzuhalten. Abu Dun prallte in vollem Lauf gegen die Reling und brach so mühelos hindurch, als wäre sie nicht vorhanden, dann stürzten sie nebeneinander ins Wasser.
Kapitel 28
H abe ich dir eigentlich schon gesagt …«, begann Andrej vielleicht eine halbe Stunde später und nachdem er das Gefühl hatte, einmal komplett um die Insel herumgeschwommen zu sein, doch Abu Dun unterbrach ihn mit einem Kopfschütteln und einem dazu passenden missmutigen Verziehen der Lippen: »Dass du Schiffe hasst? Ja. Das ein oder andere Mal.«
»Dass wir an unserer Kommunikation arbeiten müssen. Ich schätze es gar nicht zu ertrinken. Und schon gar nicht mehrmals an einem Tag.«
Tatsächlich war er nicht wirklich ertrunken, aber es war knapp gewesen, und er hatte es nur Abu Dun zu verdanken, nicht schon wieder einen Beweis für seine Theorie zu bekommen, dass Ertrinken tatsächlich zu den unangenehmsten Todesarten überhaupt gehörte. Obwohl von mindestens zwei Musketenkugeln in den Rücken getroffen, hatte der Nubier ihn unter Wasser einfach hinter sich hergezogen, während er einmal komplett unter dem Schiff hindurchgetaucht war. Andrej war sich bis jetzt nicht ganz sicher, von welcher Art das Licht gewesen war, das er gesehen hatte, während sie der Wasseroberfläche entgegengestrebt waren.
»Du lebst doch noch, oder?«
»Noch oder wieder?«, erwiderte Andrej, bekam erwartungsgemäß keine Antwort und fügte noch hinzu: »Und das ist gewiss nicht dein Verdienst, Pirat.« Was ein wenig ungerecht war, denn Abu Dun hatte ihm mit großer Wahrscheinlichkeit das Leben gerettet. Aber ihm war gerade danach, ungerecht zu sein. »Und halt
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